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Dieses Buch gehört meiner Mutter

Dieses Buch gehört meiner Mutter

Titel: Dieses Buch gehört meiner Mutter
Autoren: Erich Hackl
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auf der Ofenbank oder in den Fremdenzimmern oder im Verschlag neben dem Saustall, wo es schön warm war. Ein paar legten sich auch ins Stroh, und nicht immer allein: den Hackl zu Maasch sah ich mit der Schmiedin aus dem Stadel kommen, als ich in den Hof rannte, aufs Klo.
    Die Nachbarn gingen zum Schlafen heim. Auch das gehörte noch zum Vergnügen: darauf zu wetten, daß man sie einholen oder abfangen werde. Der Piber nahm die Wette an, lief aber nicht zu sich nach Hause, sondern zum Buchmayr Michl, wo er in der Kammer zur alten Buchmayrin unter die Tuchent kroch. Die Verfolger durchstöberten jeden Winkel, schauten in die Truhe, hinter den Ofen, unter das Bett, ehe sie wieder abzogen und, klappernd vor Kälte, seinen Hof umstellten. Keiner von ihnen schöpfte Verdacht, als der Michl nach einiger Zeit den Schlitten mit einem großen Sack Futterrüben durch die Hofeinfahrt zog.
    Meine Mutter hat jedesmal eine Gans zusätzlich gebraten. Die wurde dann ausgespielt: für den glücklichen Finder oder für den, der sie so gut versteckt hatte, daß niemand sie fand. Einmal lag sie beim Fessl im Backofen. Dort nachzusehen war keinem in den Sinn gekommen.
    Mein schönster Ball war der Lumpenball.
    Mein zweitschönster der Feuerwehrball.
    Mein drittschönster der Veteranenball, bei dem die Musikkapelle streikte und die Bauern selber musizierten: zum Gotterbarmen falsch, aber voll Inbrunst und Ausdauer, also herzergreifend schön.
    [39]  Wer was auf sich hielt, ließ sich zu guter Letzt hinausspielen: die Musiker begleiteten ihn bis zum Dorfausgang, wo er jedem von ihnen eine Münze in die Westentasche schob.
    Meine Tante Anna, die damals noch Dirn bei uns war, hat auf dem Lumpenball zwei Paar Schuhe durchgetanzt.
    [40]  In der Zeugkammer die Mäuse,
    im Roßstall die Ratten.
    Sie waren schier die einzigen,
    die nicht auftanzten am Ball.
    Das Juchzen, Stampfen und Gedröhn
    trieb sie hinüber zu den Nachbarn.
    Wir sahen die kleinen Fährten im Schnee.
    Die Fesslin und der Rauh
    klagten über die Plage.
    Übers Jahr waren sie wieder da,
    die Mäuse in der Zeugkammer,
    die Ratten im Roßstall.
    Bald gab es den nächsten Ball.
    [41]  Bei der Rehberger ihrer Schwester
    gab es frisch gebackene Krapfen
    und für jeden ein Häferl Milchkaffee.
    Deshalb kamen wir zu spät:
    die Rehberger Cilli,
    die Höller Miazzl,
    der Höller Fritzl
    und ich.
    Zur Strafe mußten wir uns hinausknien,
    neben das Lehrerpult,
    wo uns alle sehen konnten.
    Der Höller Miazzl wurde als erster schlecht.
    Sie kippte zur Seite, auf die Cilli hin,
    verdrehte die Augen und zuckte mit Armen und Beinen.
    Der Fritzl sprang zu ihr,
    rüttelte sie an den Schultern,
    tätschelte ihre Wangen.
    »Miazzl, Miazzl, komm zu dir!«
    Dann drehte er sich nach dem Lehrer um.
    »Wenn sie stirbt«, schrie er, »wenn sie stirbt,
    dann seid ganz allein Ihr schuld!«
    Diesmal setzte es keine Strafe.
    Der Lehrer rieb sich die Augengläser
    mit einem karierten Taschentuch.
    Die Miazzl hatte die Fraisen,
    wie jedes zweite Häuslerkind:
    zu wenig Kalk, zu wenig Vitamin D.
    Zu viele Kinder, zu kurz hintereinander.
    [42]  So steht’s in jedem Handbuch.
    Wer wußte das schon.
    Was hätte das Wissen geholfen.
    [43]  Das Knienlassen auf Scheitern.
    Das Hochziehen am Ohr.
    Das Haarereißen.
    Das Fotzengeben.
    Das Schlagen mit Stock oder Lineal
    wahlweise auf die Finger,
    auf den Rücken, auf den Hintern.
    Besonders gefürchtet war das Nachsitzenmüssen:
    wer zu spät heimkam, kam zu spät zur Arbeit
    und wurde ein zweitesmal bestraft.
    Den Lehrern mangelte es an Geduld.
    Zu wenig Geduld ist zu wenig Phantasie.
    Die fehlte auch uns, deshalb wehrten wir uns nicht.
    Und den Eltern war’s recht.
    Es gab Ausnahmen, unter den Lehrern
    und unter den Schülern.
    Den Lehrerstock mit einer Rasierklinge einritzen,
    so daß er beim nächsten Zuhauen knickte:
    das traute sich bald einer.
    Aber der Robesbauer Otto hat mit einem Lehrer gerauft,
    und der Lamer Karl hat einem Lehrer die Uhrkette abgetreten,
    und der Schmied Hansl hat dem Oberlehrer
    reihum die jungen Obstbäume abgebissen.
    Davon sprach man noch jahrelang.
    Entrüstet, lachend oder mit Respekt.
    [44]  »Kitzler, zeig mir deine Hände«,
    hat der Lehrer gesagt.
    Dann hat sie sie hingehalten,
    dann hat er sie angegriffen,
    dann hat er sie abgerieben,
    dann hat er sie eingecremt,
    dann hat er gesagt:
    »Das dürft gar nicht sein,
    daß du so stark arbeiten mußt.«
    Der Lehrer zur Kitzler,
    und wir haben alle auf die Hände
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