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Dieses Buch gehört meiner Mutter

Dieses Buch gehört meiner Mutter

Titel: Dieses Buch gehört meiner Mutter
Autoren: Erich Hackl
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gestarrt,
    die aussahen, als wären sie lange vor ihr
    auf die Welt gekommen.
    Lang vor der Kitzler,
    die so alt war wie wir,
    neun oder zehn Jahre,
    und beim Pfeifer die Kühe
    und die Kinder gehütet hat.
    [45]  Wenn die Frauen Spindel und Rocken weglegten.
    Ehe die Petroleumlampe angezündet wurde.
    Dann war es Zeit, Geschichten zu erzählen.
    Diese Wonne beim Zuhören, dieses Behagen.
    Die Schatten in der Stube, vor dem Fenster der Schnee.
    Wenn sie mit dem Federschleißen aufhörten.
    Ehe die Petroleumlampe angezündet wurde.
    Dann war es Zeit, die Stühle an die Wand zu rücken.
    Diese Wonne beim Tanzen, dieses Behagen.
    Die Mägde in der Stube, vor dem Fenster der Schnee.
    Schneiderfeier halten, so nannten wir das Glück
    in der Dämmerstunde zwischen Licht und Licht.
    [46]  Am schönsten war’s,
    wenn es fest stürmte
    und sich nur vier oder fünf Kinder
    durch die Schneewehen plagten.
    Zwei von uns holten
    aus der Hütte das Holz
    und schlichteten es in die Nische
    zwischen Ofen und Tür.
    Die Schaumbergerin heizte ein.
    Der Lehrer legte nach.
    Das Prasseln der Scheiter
    klang anders als sonst.
    Heimelig, verheißungsvoll.
    Eine halbe Stunde lang
    übten wir Rechnen.
    Dann erzählte uns der Lehrer
    ein Märchen oder gar eine Sage.
    Wir hatten es zum Greifen nah:
    das Leben, wie es nicht war,
    wie wir es uns erträumten,
    wie es gut oder schaurig endete.
    [47]  »Bitte Herr Lehrer!«
    »Ja, was ist denn?«
    »Der Steger hat auf dem Kirtag einen Lebkuchen gestohlen.«
    »Wer hat es außer dir noch gesehen?«
    »Nur ich, sonst keiner.«
    »Setz dich. Der Kirtagmann soll besser aufpassen.«
    Der Steger Poidl war das arme Kind ganz armer Eltern.
    Er ging als Hirterbub und bekam dafür zu essen.
    Sein Vater war Wagner, aber ein schlechter,
    ein Katzenbegerer, wie man für Leute sagte,
    die nichts Rechtes zustande brachten.
    Die Bauern gaben ihm trotzdem Arbeit, auf Stör,
    dieses oder jenes Wagenrad zu richten,
    das dann gleich wieder brach.
    Er war immer gut gelaunt, spielte Theater, riß Witze,
    und auch die Kinder, blitzgescheit, hatten Humor.
    Von seiner Frau, der Stegerin, Poidls Mutter, hieß es,
    sie habe in ihrer bitteren Not einmal Fleisch gestohlen.
    »Wer hat es gesehen?«
    »Außer mir niemand.«
    »Der Fleischhacker soll besser aufpassen.«
    [48]  Der Hilfsknecht war gern gelitten,
    auch wenn er genaue Anweisungen brauchte.
    »Paß auf, Moser, heut tust Rüben heindln.
    Gehst umi zum Handlanger,
    holst dir vom zweiten Stellen a Heindl,
    gehst aussi und fangst herunten
    beim Biersteig an z’ heindln.«
    Moser tat, wie ihm geheißen.
    (Schlurfte also, anders gesagt, in den Anbau,
    in dem das Werkzeug lag oder lehnte,
    nahm von der zweiten Stellage eine Feldhacke,
    verließ den Hof und begann am unteren Ende
    des Biersteigfeldes die Erde zu hacken.)
    Sagte man aber: »Moser, geh Rüben heindln,
    draußen am Biersteigfeld«, dann ging er stracks
    hinaus aufs Feld und stand dort untätig herum.
    Mosers ganzer Stolz war die Taschenuhr,
    die ihm die Hausleut geschenkt hatten.
    Der Uhrmacher von Weitersfelden mußte ihm
    mit einer Zange den großen Zeiger rauszwicken,
    der ihn verwirrte.
    [49]  Der alte Fessl ging mit den Junggesellen
    auf Brautschau.
    Sie waren das Reden nicht gewohnt,
    also redete er.
    Der alte Fessl hatte einigen Erfolg.
    Auch der Fleischhacker wollte sich
    einen Kuppelpelz verdienen.
    Er hatte größeren Erfolg:
    er ließ die Männer vorerst zu Hause.
    Wenn er zu den Bauern Viehschauen ging,
    zum Aussuchen fürs Abstechen,
    kamen ihm genug Haustöchter
    im heiratsfähigen Alter unter:
    unechte Jungfrauen, ledige Mütter, frühe Witwen.
    Auf die warf er einen Blick, oder zwei.
    »Du, ich hätt da einen.«
    »Ja, wen denn?«
    »Wirst schon sehen.«
    Er redete mit dem Bauern,
    beim Aushandeln oder Aufladen.
    »Ich glaub, ich wüßt dir einen Schwiegersohn.«
    »Müßten wir halt einmal diskurrieren.«
    Dann stellten sie sich zu zweit ein,
    der Fürsprecher und der Fürgesprochene.
    Umständliches Getue am Küchentisch,
    ein Krug Most kredenzt, die Pfeife gestopft
    und angezündet, erst auf Umwegen
    kam man auf den Anlaß zu sprechen.
    [50]  Die Zukünftige hatte gegrüßt und aufgetischt,
    dann stand sie hinter der Tür und lauschte.
    Sobald die beiden gegangen waren,
    machte sie sich am Herd zu schaffen.
    Der Bauer klappte den Pfeifendeckel zu.
    »Und? Würdst ihn mögen wollen?«
    »Mögen würd ich ihn schon wollen.«
    Auf dem Heimweg der Fleischhacker und sein Schützling:
    »Was
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