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Dieses Buch gehört meiner Mutter

Dieses Buch gehört meiner Mutter

Titel: Dieses Buch gehört meiner Mutter
Autoren: Erich Hackl
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Stimme,
    fragend zuerst, dann bestimmt. »Maria!«
    So kam ich zu meinem Namen, dem falschen.
    Meine Mutter weinte vor Wut,
    als er ihr sein Versagen gestand.
    Sechs Tage lang redete sie kein Wort mit ihm.
    Am siebten bat er sie kleinlaut,
    was nicht seine Art war,
    ihm wieder gut zu sein.
    Jahre später hat sie es mir erzählt,
    aufs neue entrüstet.
    [25]  Die Mutter las im Stehen wie im Sitzen
    und fast immer nur zwischendurch,
    wobei sie stumm die Lippen bewegte.
    Die Zeitung, alte und neue Kalender,
    Gebetbücher, Wildererromane, Kataloge,
    die ein Reisender dagelassen hatte.
    Am liebsten las sie in der Küche,
    wo sie vor dem Vater sicher war,
    selten auf dem Abort, der Fliegen wegen,
    manchmal auf der Hausbank sonntags,
    wenn er nach dem Essen sitzend schlief,
    und mit offenen Augen, wie die Hasen.
    Am meisten bekümmerte sie
    die Unrast der Kaiserin Elisabeth,
    noch dreißig Jahre nach dem Todesstich
    mit der Feile, ein Schlund in der Erde,
    der ein Dorf in der Türkei verschlang,
    und die Prognose der Hellseherin Sibylla,
    einst würden den Männern schulterlange Haare,
    den Frauen Stoppelglatzen wachsen:
    untrügliche Vorzeichen des Weltuntergangs.
    Mein Vater murrte, sooft er sie lesen sah.
    Im gedruckten Papier witterte er Gefahr,
    im Lesen überschüssige Kraft, die verpuffte.
    [26]  Lange vor meiner Geburt,
    im Neunerjahr oder anno zehn
    kam uns das Telefon ins Haus.
    Es kostete ein Heidengeld.
    Dazu mußte mein Vater
    noch das Holz beistellen
    für die Masten und Stützbalken.
    Als es endlich funktionierte,
    war dem Kohlstatt Toni
    seine Tante gerade
    einkaufen im Geschäft.
    »Komm her, Simmer Franzin,
    nimm den Horcher, red eini ins Rohr,
    kannst den Smejkal hören zu Leonhard!«
    Die Simmer Franzin hielt es
    für einen Witz, einen schlechten,
    aber sie tat ihm den Gefallen.
    Als sie den Postmeister hörte,
    ein Krächzen, unverkennbar,
    machte sie einen Schrei,
    ließ den Hörer fallen,
    ließ die Tasche stehen,
    raffte Schürze und Rock
    und sprang davon.
    Erst in Rebuledt kam sie zum Stehen.
    [27]  Der Untermayrhofer ist im Bund,
    so erzählte sie es reihum,
    im Bund mit dem Teufel.
    Fürs Geschäft wars nicht schlecht.
    [28]  Wir gaben nichts darauf,
    aber wir waren fast die einzigen.
    Sonst wußte schier jeder
    was Schauriges zu erzählen.
    Zu viel Zeit zum Sinnieren,
    zu wenig Salz in der Wampen,
    kein Pulver im Sack,
    sagte mein Vater verächtlich.
    Bekannt war die Geschichte
    vom Hirschenstein,
    es gab sie in dreizehn
    verschiedenen Ausführungen.
    Bauern, die beim Heimweg
    von der Mette den Teufel
    beim Geldzählen gesehen hatten,
    Jahr für Jahr und ganz gewiß.
    Der Wundarzt von Weißenbach
    war mit Schlitten und Roß
    zu einer Kranken unterwegs,
    fest vermummt und mit Laterne.
    Auf der Straße im Schnee,
    gerade unterhalb des Felsens,
    wollte das Roß nicht mehr weiter.
    Es bockte, es bäumte sich auf.
    Der Arzt stieg ab und leuchtete,
    da lag was im Schnee. Er bückte sich:
    [29]  ein Pferdehuf, haarig der Stumpf.
    Die Kerze in der Laterne erlosch.
    Wie’s weiterging, weiß jedes Kind.
    Oder der Fleischknecht vom Fössen,
    der lange im Wirtshaus lumpte
    und gegen Mitternacht aufbrach,
    heimwärts flott und beschwingt.
    Auch er gab nichts auf das Gerede
    vom Geistern in der Spitzgasse,
    wo der alten Kollerin angeblich
    eine weiße Fee erschienen ist.
    Im Mondlicht, auf halbem Weg
    sprang ihm was vor die Füße.
    Eine schwarze Katze von rechts,
    was nichts Gutes verhieß.
    Gleich darauf die zweite. Die nächste.
    Die zehnte. Augen wie glühende Kohlen.
    Sie kreisten ihn ein, ohne zu maunzen.
    Beim Weißen Kreuz waren es siebzig.
    Er rannte längst, sprang über das Kasbachl,
    kam schlecht auf, stauchte sich ein Bein,
    humpelte weiter, die Katzen wie Drachen,
    bis ihm vorm Kreuzstöckl der Atem stockte.
    Wie’s weitergeht, ist mir zu blöd.
    [30]  Das fünftgrößte Unglück war:
    sich verschulden.
    Das viertgrößte Unglück war:
    sich versaufen.
    Das drittgrößte Unglück war:
    abbrennen.
    Das zweitgrößte Unglück war:
    abhausen.
    Das größte Unglück war:
    ledig schwanger werden.
    Die Mädchen tranken einen Sud aus Mutterkorn,
    oder sie gingen zur Wenderin.
    Hochwürden Weidinger hielt sich nicht
    an das Beichtgeheimnis.
    Von der Kanzel herunter
    verlas er die Namen der Mädchen,
    die es gewagt hatten,
    ohne das Heilige Sakrament der Ehe
    schwanger zu werden.
    Die er beim Zublinzeln und Abbussln ertappte,
    scheuchte er aus der Jungfrauenkongregation,
    die zu Fronleichnam die
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