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Dieses Buch gehört meiner Mutter

Dieses Buch gehört meiner Mutter

Titel: Dieses Buch gehört meiner Mutter
Autoren: Erich Hackl
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meinst? Wär’s was für dich?«
    »Könnt schon sein, daß ’s was wär.«
    Mundfaul waren die meisten.
    [51]  Hilfsbereit waren wir selber,
    dazu brauchten wir sie nicht.
    Ob und wie hilfreich sie waren:
    daran wurden die Heiligen gemessen.
    Der Heilige Florian war beliebt nur
    bei der Freiwilligen Feuerwehr,
    der er zu vielen Einsätzen verhalf.
    Damals brannte es fast jede Woche.
    In Sankt Leonhard hielten die Bauern
    große Stücke auf den Namenspatron,
    der für Roß und Vieh zuständig war.
    Wir fanden, er bemühte sich redlich.
    In Firling schwörten alle auf den
    Heiligen Antonius. Ein Stoßgebet
    zu ihm geschickt, schon zeigte sich,
    was man seit Wochen suchte.
    Manchmal sogar ein Gegenstand,
    den wir gar nicht verloren hatten.
    [52]  DIE Frauen saßen auf der einen,
    die Männer auf der anderen Seite,
    entweder tief ins Gebet versunken
    oder mit trüben Gedanken befaßt.
    Auch die Empore war gespalten:
    in Musikchor und Bauernchor.
    Die einen sangen, die andern schnauften.
    Die Kinder merkten erst bei der Predigt auf.
    Ihr Inhalt wurde in der Schule abgefragt.
    Neben dem Hochaltar,
    oberhalb des Chorgestühls,
    hinter einem weitmaschigen Gitter
    war der Taubenchor für die Eiligen:
    die später kamen und früher gingen
    und dazwischen Wichtiges zu besprechen hatten.
    Beim Schlußsegen saßen sie schon im Wirtshaus.
    Ein Groschen, ein Kreuzer, ein Hosenknopf.
    Der Klingelbeutel baumelte an einem langen Stab,
    mit dem der Zechprobst absammeln ging.
    Manchmal ließ er sich von einem Spötter provozieren.
    Dann schlug er ihm den Beutel um die Ohren.
    Das störte empfindlich den Gottesdienst.
    [53]  So ein Begräbnis war bald
    lustiger als eine Hochzeit.
    Gerade, daß bei der Zehrung
    nicht zum Tanz aufgespielt wurde.
    Der Verstorbene ließ sich nicht lumpen:
    es gab eine Leberknödelsuppe,
    gekochtes Rindfleisch mit Semmelkren
    und als Nachspeise eine gallige Torte.
    Bier und Schnaps nach Bedarf.
    Eierlikör für die alten Weiber.
    Rumtee für die Verschnupften.
    Milchkaffee für die Kinder.
    Glühwein für den Herrn Pfarrer.
    Der alte Schinböck hatte verfügt,
    daß die Leonharder Musikkapelle
    zu seiner Beerdigung aufspielen sollte
    mit einem gewaltigen Rausch.
    Sein letzter Wille wurde erfüllt,
    was den Ohren jämmerlich klang.
    Dem Schusterbuben aus Rebuledt,
    der die große Trommel schlug,
    kam beim Umzug der Schlegel aus,
    flog im hohen Bogen davon
    und ertrank im Löschteich.
    Der alte Schinböck hatte nicht bedacht,
    daß auch die Sargträger
    sich zur Musikkapelle zählten.
    [54]  An seinem lichten Fell
    habe ich mich festgehalten,
    als ich das Laufen lernte.
    Einmal rettete er mich
    vor dem Ertrinken im Teich.
    Bei der Erstkommunion
    durfte er neben mir stehen.
    Jetzt war er fast blind.
    Er hatte das Bellen verlernt.
    Auch zum Hirten war er
    nicht mehr zu gebrauchen.
    Aber das war kein Grund,
    Treue mit Verrat zu vergelten.
    Unserem Hofhund, dem Lord.
    Wir mußten einen Aufsatz schreiben
    über den Herbst und seine Gaben.
    Der Griffel kratzte über die Tafel.
    Dann wußte ich nicht weiter
    und schaute aus dem Fenster.
    Da sah ich ihn vorbeitrotten,
    um den Hals einen Strick.
    Den Mann, der ihn führte, kannte ich,
    er war hager, wortkarg und arm.
    Der Schinder verkaufte Hundefett
    als Mittel gegen die Schwindsucht.
    Ich wartete nicht bis zur Pause.
    Ich wußte, wo der Zwinger war.
    Der Lord lief mir gleich zu.
    Ich führte ihn nach Hause,
    [55]  auf Umwegen, durchs Unterholz
    und voll Zorn auf meine Eltern,
    denen er dann die Hände leckte.
    Sie versprachen mir »in Gottes Namen«,
    ihm das Gnadenbrot zu gewähren.
    Er lebte noch ein halbes Jahr.
    Ich schaufelte sein Grab.
    Es störte mich nicht,
    daß sie mir dabei halfen.
    [56]  Nachher hieß es, der Rauh sei schuld,
    er habe das eigene Haus angezündet.
    Aber das stimmt nicht, ich kann es bezeugen:
    daß die Flammen wie zwei gefaltete Hände
    aus dem Rauchfang des Schneider-Häusls schlugen.
    Ein Flackern, ein Fluschen, ein Lodern.
    Meine Mutter und ich waren allein im Haus.
    Die andern waren nach der Messe
    noch zur Bründl-Kapelle gepilgert,
    weil auf den Feldern die Halme verdorrten.
    »Stritt Heu runter«, sagte meine Mutter,
    »damit die Dirnen gleich was zum Füttern haben,
    wenn sie zurück sind vom Beten.«
    Ich kletterte auf den Heuboden.
    Gleich darauf hörte ich sie schreien.
    Da schaute ich durch die Luke und sah:
    die gefalteten Hände, das Dach, den Wind.
    Das Tosen der Feuersbrunst
    erstickte alle anderen Geräusche,
    das
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