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Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)

Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)

Titel: Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
Autoren: Lars Amend , Daniel Meyer
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bestimmt.
    Ich rollte Lars’ Koffer auf die andere Seite des Gangs, und als ich in die schöne goldene Flamme schaute, dachte ich an den Tag ihrer Beerdigung. Ich sei so ein tapferer Junge, dass ich mir diesen schweren Weg auf den Friedhof antun würde, sagten die Erwachsenen. Ich nickte nur, damit sie mich in Ruhe ließen. Alles, was ich in dem Moment dachte, war: Wovon bitte reden die? Selbstverständlich gehe ich auf Maikes Beerdigung. Sie war meine Freundin, auch wenn wir nie ein Wort miteinander gewechselt hatten. Das mussten wir auch nicht. Ich hielt sie im Snoozle-Zimmer im Arm, wir lächelten uns gegenseitig an, und alles war okay. Ich meine wirklich okay und nicht so, wenn die Erwachsenen das sagen. Dann ist nämlich meistens gar nichts okay. Viele Eltern schauten mich ganz mitleidig an, als ich an ihrem Grab stand. Meiner Mama fiel das auch auf. Es wissen ja alle Bescheid über mich. Als Mama anfing zu weinen, nahm ich schnell ihre Hand, um ihr zu zeigen, dass ich noch ein bisschen für sie da sein würde. Ja, ich werde sterben. Bald wahrscheinlich. Und jetzt? Ich kann nichts dagegen tun, aber ich brauche kein Mitleid. Das hilft mir nicht. Die Erwachsenen verstehen das aber nicht.
    Ich nahm Lars an die Hand und führte ihn überall herum. Im Hospiz gibt es viele verschiedene Räume: die Küche, die Toiletten, das Musik- und Snoozle-Zimmer, die Krankenstation, den großen Spielbereich und den zweiten Stock mit dem Wintergarten. Da können sich die Eltern ausruhen. Normalerweise ist dieser Bereich für Kinder verboten, aber Ester machte eine Ausnahme, weil ich an dem Tag das einzige Kind war und Lars ja wirklich alles zeigen wollte. Er sagte nicht sehr viel. Ich glaube, er wollte nichts falsch machen, so wie die meisten Erwachsenen, aber wenigstens behandelte er mich nicht wie ein Baby. Wir spielten vier Runden Tischfußball, immer bis zehn, von denen ich jede Runde haushoch gewann. Lars war echt eine Lusche. Aber das würde ich ihm schon noch beibringen.
    Ich fragte: »Wie lange bleibst du bei mir?«
    Er sagte: »Bis Freitag.«
    Ich rechnete. Das waren vier Tage. Krass! Und dann lächelte Lars und sagte: »Also, wenn du es so lange mit mir aushältst.«
    »Ja, werde ich«, sagte ich schnell. »Ganz bestimmt.«
    Die Woche war gerettet.

Schule kann manchmal ziemlich öde sein.   

2
    Um 6.15 Uhr klopfte ich leise an seiner Tür. Ich lauschte und zählte bis drei – keine Reaktion. Vorsichtig drückte ich die Klinke nach unten und betrat sein Zimmer. Lars schlief noch. Aus seinem Laptop, der neben dem Bett auf einem kleinen Hocker stand, kam Musik. Nicht sehr laut, aber wenn man ganz ruhig war, konnte man sie gut hören.
    »Lars?«, flüsterte ich in seine Richtung. Nichts. Ich ging zwei Schritte auf ihn zu und drückte sachte gegen das Bein, das halb aus dem Bett hing. Jetzt bewegte er sich und grummelte, und ich sagte: »Aufstehen.«
    »Jetzt schon?«
    »Ja.«
    »Fuck!«
    Ich antwortete nichts und setzte mich an den Rand seines Bettes. Auf dem Boden lagen zwei Bücher, sein Handy (ein ganz altes) und seine Klamotten von gestern. Ich sah aus dem Fenster, und es war noch ganz dämmrig. Ich wollte so gerne, dass der Tag endlich begann, aber dafür musste Lars erst aufstehen. Ich brauchte ihn ja dazu. Für einen Moment hatte ich Sorge, dass er nicht mit in die Schule kommen würde.
    »Bist du noch sehr müde?«, fragte ich.
    »Wonach sieht’s denn aus?«, nuschelte er.
    »Also, ich bin morgens nie müde«, sagte ich.
    »Hmm, schön für dich.«
    »Mama möchte wissen, ob du zum Frühstück Kaffee oder Tee trinkst.«
    »Espresso.«
    »Okay.«
    »Lässt du mich noch fünf Minuten schlafen?«
    »Okay.«
    Ich überlegte, ob ich solange hier sitzen bleiben durfte. Aber ich musste Mama ja sagen, dass er einen Espresso möchte. Und ich war noch im Schlafanzug. Ich wollte trotzdem nicht gehen. Ich blieb sitzen. Dann wurde mir langweilig, und ich ging doch. Mama stand in der Küche und hatte für Lars und mich vier halbe Käsebrote geschmiert. Ich verstaute alles in meiner Tasche. Die würden wir später zusammen essen, am besten in der Pausenhalle, wo uns alle sehen konnten. Aber erst mal musste er aufstehen. Ich ging zurück in sein Zimmer und sagte: »So, die Zeit ist rum. Du musst jetzt ins Bad, sonst verpassen wir den Bus. Und Mama hat keinen Espresso. Ist das schlimm?«
    Wie von einem Blitz getroffen, sprang Lars aus dem Bett und machte eine Bewegung, als ob er surfen würde. Ganz kurz, wirklich nur ganz
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