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Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)

Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)

Titel: Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
Autoren: Lars Amend , Daniel Meyer
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alles durcheinander bringen. Irgendwann kommt ja eh alles raus, und dann wird es nur noch schlimmer. Ich möchte nicht, dass die Menschen, die ich lieb habe, mich anlügen. Deswegen lüge ich sie auch nicht an. Das gehört sich nämlich so.
    Mama lächelte mich mit ihren verheulten Augen an, und ich flitzte schnell in die Küche, um meine Tabletten für das Frühstück vorzubereiten. Damit würde ich ihr eine Freude machen, denn normalerweise versuche ich mich immer davor zu drücken. Ich hasse meine Tabletten. Ich hasse sie wirklich. Es sind so viele, und sie schmecken so eklig. Jeden Morgen schreit mich Mama an, wann ich es endlich begreifen würde, dass ich ohne sie nicht leben könne, aber ich denke mir jedes Mal: »Scheiß drauf, sterbe ich eben!«
    Mama weckte mich, wie immer, wenn ich Schule habe, um 6.15 Uhr. Grummelig knipste sie das Licht in meinem Zimmer an. Sie kann nachts kaum schlafen, weil Papa ganz laut schnarcht. Deswegen bleibt sie jeden Abend so lange auf der Couch sitzen und spielt mit ihrem Computer, bis ihre Augen von selbst zufallen. Bei uns bleiben nachts alle Türen offen, damit meine Eltern mich im Notfall hören können. Mein Zimmer liegt direkt neben der Wohnungstür, also am anderen Ende des Flurs, und trotzdem kann ich Papas Geschnarche bis zu mir hören.
    Mama schlurfte in ihrem Morgenmantel in die Küche und setzte gähnend Kaffee auf. Ich gab ihr einen Kuss, rannte ins Bad, zog dort meinen Schlafanzug aus, wusch den Schlafsand aus meinen Augen, machte Pipi und putzte mir sogar die Zähne. Ich hatte keine Lust auf Ärger. Ich war supergut drauf, packte die Essensbox mit den Käsebroten und dem hartgekochten Ei in meine Tasche und stand mit einem breiten Grinsen fertig angezogen vor Mama.
    »Heute ist also der große Tag«, lachte sie und lehnte sich gegen den Kühlschrank.
    Ich nickte heftig und wäre am liebsten in die Luft gesprungen, aber dann hätte Mama geschimpft, ich solle mir meine Kräfte einteilen, also schüttelte ich nur mit dem Kopf. Mir wurde etwas schwindelig davon.
    »Hier, deine Tabletten.«
    Ich nahm die Schachtel und schob sie in meine Tasche, rechts neben die Essensbox. Es war 6.52 Uhr.
    »Mama, bekomme ich noch Geld?«
    »Zieh dir lieber deine Schuhe an, oder willst du den Bus verpassen?«
    Ich schlüpfte in die Schuhe und hielt sie Mama hin, damit sie die Schnürsenkel zubinden konnte. Ich kann das zwar selbst, aber Mama kann es besser.
    »Ich brauche Geld für Rewe«, sagte ich.
    »Du sollst dir nicht immer Chips kaufen. Du weißt doch, was der Doktor gesagt hat.«
    Ich hörte gar nicht zu. Mama gab mir drei Euro. Ich steckte die beiden Münzen in meinen Geldbeutel, öffnete die Haustür und rief: »Tschühüüs«.
    »Hast du nicht was vergessen?«, rief Mama zurück.
    Ich tat so, als würde ich überlegen, da reichte sie mir auch schon die Tasche mit dem Sauerstoffgerät durch die Wohnungstür.
    »Brauche ich heute wirklich nicht«, winkte ich ab. »Mir geht’s gut, Mama.«
    »Keine Diskussion, Daniel. Du nimmst deinen Sauerstoff mit und jetzt Abmarsch!«
    Na ja, einen Versuch war es wert gewesen. Ich hängte mir die Tasche um die Schulter und ging den kleinen Weg bis hoch zur Straße. Jetzt war es genau 7 Uhr und der Schulbus kam auf die Minute pünktlich um die Ecke gebogen.
    Am Eingang der Schule begrüßte ich meine Lehrerin, die sich mit einem Sanitäter unterhielt, und fuhr mit dem Fahrstuhl nach oben. Wegen meines schwachen Herzens darf ich nämlich keine Treppen steigen. Mein Klassenzimmer liegt im ersten Stock, gegenüber den Toiletten.
    »Hallo, Daniel«, begrüßte mich Alexej, der als Erster da war, aber ich gab ihm keine Antwort. Ich war noch sauer auf ihn, weil er sich in letzter Zeit mir gegenüber sehr gemein verhielt. Dabei hatten wir uns immer gut verstanden. In den Pausen half ich ihm oft, seinen Rollstuhl zu schieben, und er erzählte mir dafür lustige Schweinkramwitze. Mit Ausdrücken und so. Aber damit war jetzt Schluss. Es ist nämlich so: Ich lese gerne vor. Mir macht das Spaß, aber ich kann es eben nicht so gut. Wenn unsere Deutschlehrerin fragt, wer gerne aus einer Geschichte vorlesen möchte, hebe ich trotzdem meinen Finger. Letzte Woche hörte ich aus seiner Ecke ein Stöhnen: »Nicht schon wieder Daniel. Der liest doch wie ein Baby.« Ich versuchte, mich davon nicht ablenken zu lassen, aber ich mache wirklich noch viele Fehler. Manchmal benötige ich drei oder vier Anläufe, um einen Satz vorzulesen. Alexej rief etwas
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