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Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)

Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)

Titel: Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
Autoren: Lars Amend , Daniel Meyer
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Ester und gab allen anderen die Hand. Ich schaute ihn an, und mein Bauchgefühl sagte mir, dass er kein Fremder war. Im Gegenteil. Es war vielmehr so, als ob wir uns schon immer kennen würden, als ob er nur auf einer langen Reise war und jetzt zurück nach Hause kam. Nach Hause zu mir, Daniel, seinem kleinen Bruder. Mein Herz hüpfte vor Glück. Endlich hatte ich wieder einen großen Bruder. Endlich. Endlich. Endlich.

    Am Abend vor Lars’ Ankunft konnte ich vor Aufregung nicht einschlafen. Muh lag neben mir und reichte mir ihren rechten Huf, damit ich ihn drücken konnte. Das machte sie immer, wenn mir die Augen nicht zufallen wollten. Es half nicht. In sieben Stunden musste ich wieder aufstehen, in sechzehn Stunden würde ich Lars zum ersten Mal treffen. Ich brauchte eine Weile, um das in meinem Kopf auszurechnen, aber ich schaffte es. Sechzehn Stunden. Eine kleine Ewigkeit. Wie er wohl sein würde? Mama hatte mir schon einige Fotos gezeigt, aber auf den meisten trug er eine goldene Sonnenbrille, und ich konnte seine Augen nicht erkennen. Ich schaue den Menschen gerne in die Augen. Blaue Augen mag ich am liebsten, weil sie mich an den Himmel erinnern und weil ich selbst blaue Augen habe. Türkise Augen finde ich auch schön. Das Meer, das ich im Paradies gesehen habe, funkelte wunderschön helltürkis. Wer es nicht weiß: Türkis ist eine Mischung aus grün und blau. Ich zog Muh dicht an mich heran und überlegte, dass ich braune Augen auch gerne mochte und dass ich in Wahrheit alle Augenfarben schön fand.
    Auf einem Foto stand Lars neben dem Rapper 50 Cent, und ich fragte mich zwei Dinge: 1) ob sie Freunde waren und 2) ob wir auch Freunde sein könnten. Mama hatte mir in den letzten Tagen schon viel über ihn erzählt, aber ich konnte mir kaum etwas davon merken. Dafür war ich viel zu aufgeregt. Mein Herz begann wieder schneller zu klopfen, und ich drehte mich zur Seite und schloss meine Augen. Um mich abzulenken, erstellte ich eine Liste mit meinen Lieblingstieren. Das war gar nicht so einfach, weil es viele süße Tiere gibt, die man gut streicheln kann. Muh, die jetzt hinter mir lag, ist eine schwarz-weiß-gefleckte Kuh. Obwohl ich jeden Abend neben ihr einschlafe, gehören Kühe nicht dazu. Zu meinen Lieblingstieren, meine ich. Hier ist die Liste:
Platz 1:
Katzen
Platz 2:
Delfine
Platz 3:
Hundebabys
Platz 4:
Pferde
Platz 5:
Elefantenbabys
    Ich habe auch ein Elefantenbaby. Es heißt Josi und hat einen langen Rüssel, aber mit ihr kuschle ich nur, wenn ich im Krankenhaus liege. Josi ist mein Krankenhaustier. Zu Hause habe ich Muh, und sie und ich bekamen kein Auge zu. Der kleine Zeiger auf meiner gelben Spongebob-Schwammkopf-Uhr stand auf der Elf, der große auf der Zwanzig. Es waren erst fünf Minuten vergangen, seit meiner Tierliste. Ich schob Muh zur Seite und kletterte die Leiter meines Hochbettes hinunter und schlurfte leise durch den Flur. Mama telefonierte im Schlafzimmer. Das konnte ich hören. Ich linste kurz ins Wohnzimmer. Papa und Rocky (das ist meine Katze) standen nebeneinander auf dem Balkon und rauchten. Also mein Papa, nicht Rocky. Katzen können ja nicht rauchen. Bei der Vorstellung musste ich kichern, aber ich hielt mir schnell die Hand vor den Mund, damit Mama mich nicht hörte. Ich öffnete die angelehnte Tür einen Spalt und sah, wie sie heulend auf ihrem Bett saß. Arme Mama, dachte ich. Ob wieder etwas Schlimmes passiert war? Ich werde jedes Mal ganz traurig, wenn sie weint. Meistens bin ich nämlich der Grund ihrer Tränen. Das ist so gemein, weil ich nichts dagegen tun kann.
    Papa schloss die Balkontür, setzte sich wieder aufs Sofa und drehte den Fernseher lauter. Das war gut, denn so konnte ich mich vor der Schlafzimmertür bewegen, ohne dass Mama mich gleich entdeckte. Mein erster Verdacht war, dass sie mit einem meiner Ärzte über einen neuen Befund sprach, da sie aber ganz viele private Dinge über mich erzählte, konnte ich das wieder ausschließen. Außerdem war es dafür schon viel zu spät. Ich hockte mich auf den Boden und nahm Rocky in den Arm, der schnurrend auf dem Weg in die Küche war, bevor ich ihn ergriff. Ich bin der Einzige, der ihn so anpacken darf, ohne Bekanntschaft mit seinen Krallen zu machen. Er war müde und ganz friedlich und ließ sich brav durchs Fell streicheln. Mama erzählte nur von mir, von Südafrika, von meinem Papa, also von meinem richtigen Papa, von meinen vielen Krankheiten, von meiner Schule und immer wieder kullerten ihr die
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