Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dieser Mann ist leider tot

Dieser Mann ist leider tot

Titel: Dieser Mann ist leider tot
Autoren: Michael Bishop
Vom Netzwerk:
erhebt. So schnell, lautlos und unmerklich wird Philip K. Dick 2 aus Philip K. Dick 1 gehoben, daß Harvey Wallbanger, der Kater, sich nicht einmal rührt. Die anderen Katzen in der Wohnung sind gleichermaßen unbeeindruckt.
    Für Dick 2 fühlt es sich an, als habe irgendwo jemand die Tür zum Gefrierschrank aufgelassen, und erstaunt und mitleidig betrachtet er sein gefallenes Ich. »Du armes Schwein«, sagt er. »So eine verrückte Scheiße erlebst du dauernd. Jetzt ist es wieder passiert.«
    Dick 2 , ein faßbarer Geist, weiß, daß unfaßbare Nano-Computer im Kreislauf von Dick 1 diesen Körper als Matrix für seine eigene wunderbare Gestalt benutzt haben.
    Eine Gänsehaut überläuft den auferstandenen Dick 2 , und er fängt an zu zittern, vor Mitgefühl ebenso wie vor Kälte. Dick 1 ist nicht aufgestanden – er wird nie wieder aufstehen –, und Dick 2 , seiner beraubt, liebt ihn ebenso vollständig, wie Dick 1 im Leben jeden seiner Freunde geliebt hat.
    Ein Leben, erkennt Dick 2 , das bald zu Ende gehen wird. Ein Leben, das durch die bösartige Politik King Richards in Dick 1 s mittleren Jahren zu einer Parodie des eigentlichen verzerrt wurde, und ein Leben, um das Dick 2 jetzt trauert, während er fröstelnd im kalten lunaren Rosa steht.
    Das ist schon wieder eine geheime Auferstehung, sinniert Dick 2 . Meine zweite gottverdammte geheime Auferstehung. Ich begreife – wieder –, daß diese Welt irreal ist, und daß über ihr oder jenseits von ihr irgendein gütiges, aber verborgenes Wesen existiert, das uns die Scheuklappen abnehmen möchte. Obwohl wir eingesperrt sind, will dieses Wesen, daß wir durch unsere Schranken die Realität sehen, die in Ewigkeit dazugehört …
    Zeit und Raum sind Illusionen, sagt Dick 2 sich und geht zu einem Schrank, um sich etwas zu suchen, womit er seine Blöße bedecken könnte. Denn im Augenblick sehnt Dick 2 sich nach Wärme, nicht nach profunden ontologischen Einsichten. Als er die Schranktür öffnet, stellt er fest, daß sein halb astraler Leib tatsächlich die ›handfesten‹ Dinge dieser Welt beeinflussen kann. Und warum auch nicht? Wenn Dick 1 s Welt tatsächlich irreal ist, warum sollte dann nicht auch ein Geist – für manche geradezu die Essenz des Irrealen – in ihr funktionieren können?
    Und ich kann hier funktionieren, denkt Dick 2 , der Prä-Geist des noch lebenden Philip K. Dick. Zumindest für eine Weile. Bis das Wesen hinter unserer Einsperrung seine Unterstützung zurückzieht …
    Der Prä-Geist blättert durch die Sachen im Schrank wie eine Requisiteurin, die den Garderobenkoffer einer Theaterkompanie mustert. Er will nur warm werden. Sich in bequeme Kleider hüllen, die keinerlei vorbedachte Aussage darstellen sollen – außer möglicherweise der, daß er kein Verbrecher leeren Stilbewußtseins ist.
    Endlich findet er eine abgetragene Hose, ein weites blauleinenes Arbeitshemd und eine silberfarbene Jacke. Die letztere ist ein Markenteil mit einem affektierten kleinen Designerschildchen, aber er – Dick 1 – hat sie einer Laune folgend gekauft, weil er eine Jacke brauchte und weil ihm der sportive Schnitt gefiel, und er – Dick 2 – schlüpft entzückt hinein, als er Hose und Hemd angezogen hat.
    Keine Unterwäsche.
    Was brauche ich Unterwäsche? fragt sich der Dick’sche Prä-Geist. Ist es nicht klar, daß ich keine brauche? Das Biologische liegt hinter mir. Wir halb-astralen Wesen sind nicht länger Sklaven von Sekreten und Exsudaten …
    Dick 2 läßt sich in einen Sessel fallen, streift ein Paar ausgelatschte, flache Tennisschuhe über und wirft noch einmal einen Blick auf Dick 1 .
    Du bist verdammt, denkt er. Du warst immer verdammt. Du hast es überhaupt nur bis jetzt geschafft, weil du zu beschissen stolz warst, dich der Lüge einer Konsensrealität zu unterwerfen. Du solltest deine Fühler nie einziehen. Und jetzt sieh nur, wohin es dich gebracht hat, Phil. Sieh nur!
    Dick 2 erhebt sich, schlurft durch das Apartment und setzt sich schließlich an den Schreibtisch in dem Zimmer, wo Dick 1 s Schreibmaschine residiert. Er fängt an zu tippen. Lautlos, aber rasend, vollführen seine Finger ihren Steptanz auf den Tasten. Die Typenhebel verschwimmen in ihrem Gehäuse – einhundert Kolibris, die auf die Verlogenheit der Nacht einhämmern. Die Zeit schiebt sich zusammen wie ein Teleskop, die Realität wird umgekrempelt.
    Nachbarn stürmen herein, finden Dick 1 bewußtlos auf dem Wohnzimmerteppich. Harvey Wallbanger miaut, und Freunde erscheinen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher