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Dieser eine Moment (German Edition)

Dieser eine Moment (German Edition)

Titel: Dieser eine Moment (German Edition)
Autoren: Christoph Wortberg
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Wochen hatte eine merkwürdige Harmonie zwischen ihnen geherrscht, sein Vater hatte sich auffallend um sie bemüht, wenngleich er stiller war als sonst, in sich gekehrter, als sei irgendetwas in ihm zerbrochen in jener Nacht. Seine Mutter hingegen war von einer stillen Heiterkeit erfüllt, ihr Bauch wuchs immer weiter, schließlich war Maja geboren worden. Kurz darauf hatten seine Eltern angefangen, die Wochenenden auf dem Campingplatz an der Schlei zu verbringen. Erst später hatte Jan sich gefragt, was sein Vater gemeint hatte mit dem Satz: Genau wie mit dem Jungen. Bis ihm klar geworden war, dass der Hochzeitstag seiner Eltern nur zwei Monate vor seiner Geburt lag.
    »Danke für Ihre Offenheit«, hört er Catrins Vater sagen. Und dann: »Wir würden jetzt gerne zu ihr gehen.«
    »Natürlich«, sagt der Arzt.
    Jan weicht zurück, die Tür öffnet sich. Catrins Eltern kommen heraus, ein mittelgroßer Mann, eine Lederweste über dem karierten Hemd, und eine schmale, sehr schlanke Frau, das gefärbte Haar kurz geschnitten, die Schultern nach vorne gebeugt. Das Papiertaschentuch, mit dem sie sich die Tränen aus den Augen wischt, hinterlässt dunkle Spuren von Lidschatten auf ihren Wangen.
    »Gleich da vorne«, sagt der Arzt. »Wenn Sie möchten, dass ich mitkomme ...«
    »Danke«, sagt Catrins Vater, »aber wir schaffen das schon allein.«
    Jan schaut ihm und seiner Frau hinterher, wie sie zum Zimmer ihrer Tochter gehen. Ein paar Meter Zeit, sich zu sammeln, die Länge eines Flures, um Hoffnungslosigkeit in Zuspruch zu verwandeln.
    Sie tun ihm leid, genau wie dem Arzt, der nichts hat als Worte und doch nur das Falsche sagen kann. Weil es für das, was er sagen müsste, keine Worte gibt.
    Während Catrins Eltern das Zimmer ihrer Tochter betreten, fährt sich der Arzt müde mit der Hand durchs Gesicht. Er strafft seinen Rücken, als könne er damit das Leben der anderen von sich abschütteln. Dann bemerkt er Jan.
    »Willst du zu mir?«
    »Ich glaube, ich habe mich in der Etage geirrt«, sagt Jan. »Ich suche die Orthopädie.«
    »Eins höher«, sagt der Arzt und verschwindet in seinem Zimmer.
    »Danke«, sagt Jan, aber die Tür ist schon zugefallen.

6
    Der Ort ist derselbe, der Strandkorb ein anderer.
    »Warum sagst du nichts?«, fragt Laura und schmiegt sich an ihn.
    »Was soll ich denn sagen?«
    »Keine Ahnung. Irgendwas.«
    Er schaut hinaus aufs Meer, verliert sich in den Wellen. Lässt sich treiben unter den Kämmen, im grünblauen Nichts zwischen Oberfläche und Grund, nackt und ohne jedes Gewicht.
    »Jan?« Ihr Kopf vor dem gestreiften Polster des Strandkorbs. Der Ausdruck in ihren Augen, zwischen Neugier und Sorge. »Wo bist du?«
    »Ich weiß nicht«, sagt er, »irgendwo und nirgends.«
    »Weißt du, warum ich mich in dich verliebt habe?«, fragt sie. Ihre Hand malt Kreise auf seiner Brust, sie lächelt versonnen. »Weil du keine großen Worte machst.«
    Welche auch, denkt er, und worüber?
    Er sieht seinem Körper beim Schweben zu. Die Sonne bricht sich an der Wasseroberfläche. Die Wellen über ihm werfen tanzende Lichtmuster auf seinen Körper.
    »Manche Menschen verstecken sich hinter ihrem Gerede«, sagt Laura, »du hinter deinem Schweigen.«
    »Und du?«, fragt er. »Wohinter versteckst du dich?«
    Sie greift in sein Haar, zieht ihn zu sich. »Wenn du mich küsst, hinter gar nichts.«
    Wie macht sie das nur? Diese ansteckende Leichtigkeit. Es gibt Dinge, die kann man nicht lernen.
    Sie schaut ihn an, voller Lust. Ihre linke Hand wandert seine Beine empor. Sie öffnet den Reißverschluss seiner Hose, lässt ihre Finger ins Dunkel gleiten, tastend und doch ganz sicher. Vielleicht ist es das, was ihn so berührt: nirgends die Spur eines Zweifels.
    Sie beginnt, ihn zu streicheln. Ein Stück weiter kommen eine Frau und ein Mann vorbei. Zwischen ihnen ein Hund, ein Labrador, stämmig und kraftvoll. Der Mann wirft einen Stock ins Wasser, der Hund stürzt sich in die Brandung. Der Mann lacht, die Frau schaut rüber zu ihnen.
    »Die guckt her«, sagt Jan.
    »Lass sie doch«, sagt Laura und streichelt ihn weiter und blickt ihn dabei an mit diesem geheimnisvollen Lächeln, woher dieses Lächeln, während er hart wird unter ihrer Hand und das Blut in ihm pulsiert und er das alles nicht kapiert – wieso tut sie das – und die Erregung ihn auffrisst und er sich fragt, wie lange er das noch aushalten kann, und diese Frau noch immer zu ihnen herüberschaut, obwohl der Hund längst aus dem Wasser zurück ist, sich
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