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Diese eine Woche im November (German Edition)

Diese eine Woche im November (German Edition)

Titel: Diese eine Woche im November (German Edition)
Autoren: Michael Wallner
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Zimmer erleuchtet. Dazwischen verraten geschlossene Läden und dunkle Fenster, dass so manches ehrwürdige Bauwerk verlassen ist. Ein letztes Mal nimmt Rinaldo den Geruch des Wassers in sich auf, spürt das schwerfällige Stampfen des Motors, beobachtet einen Gondoliere, der im Licht einer Laterne sein Gefährt geschickt neben dem Vaporetto auf Kurs bringt. Sie passieren den Bahnhof mit seiner hässlichen Fußgängerbrücke. Dahinter endet Venedig, die Insel und die Ruhe. Autos, Busse, Motorroller fahren, die moderne Welt beginnt.
    Der Bus ist kaum besetzt. Um diese Uhrzeit wollen nur noch wenige zum Flugplatz. Auf der Via Libertà, die die Serenissima mit dem Festland verbindet, wirft Rinaldo keinen Blick zurück. Sein Venedig bleibt in ihm, auch wenn er die Stadt für immer verlässt.
    Marco Polo ist ein sympathischer Flughafen, übersichtlich und kein bisschen hektisch. In einer Novembernacht wie dieser ist er praktisch leer. Hier nahm Rinaldos Frau vor Jahren von ihm Abschied. Sie flog in ihre gemeinsame Heimat. Er blieb und verwandelte sich in Rinaldo. Sie hat ihn nie bei diesem Namen genannt. Sie sagte: » Ich liebe dich, Miikhe, aber bleiben kann ich nicht. « Er sagte: » Schreib mir nicht, Uhla. Komm gut heim. Und gib beim Reiten acht. « Bevor sie ihn verließ, hatte Uhla überlegt, ihr Gestüt ins venezianische Hinterland zu verlegen. Es wäre falsch gewesen. Sie gehört nicht in die heiße Tiefebene, wo im Sommer Fäulnis und Fieber regieren. Uhla und die Pferde brauchen karge Weiden, Kälte, Helligkeit und lange Winter. Vor langer Zeit, als beide noch in der Heimat lebten, hat Rinaldo ihr einen Jütländer geschenkt, ein graues Ross mit einer weißen Blesse. Das Pferd wurde sein schärfster Konkurrent, sie konnte es unmöglich im Stich lassen. Der Jütländer ist mittlerweile tot, doch er hat sich prächtig vermehrt. Uhla lebt im Kreise seiner Nachkommenschaft.
    Fast ein Jahr ist es her, dass die beiden einander zuletzt gesehen haben. Über den Bildschirm sangen sie ein Weihnachtslied. Wird Uhla die klapperige Hülle, die aus Rinaldo geworden ist, willkommen heißen, wird sie ihn überhaupt wiedererkennen? Lebt sie mit jemand anderem zusammen? Über diese Dinge haben sie noch nie gesprochen.
    Ermattet sitzt er im Wartebereich. Der Flug nach Helsinki wurde noch nicht aufgerufen. Rund um ihn sind die Reisenden in ihre Onlineszenarien versunken. Die Bildschirme entführen sie in Welten, die bis vor Kurzem auch die von Rinaldo waren. Von nun an möchte er lieber ins Feuer schauen, in die weiße Landschaft, ins Gesicht seiner Frau. Er will die Bildschirme vergessen.
    Ein stahlgraues Kostüm, rotes Haar, ein ernstes, ungewöhnlich schönes Gesicht. Diese Frau könnte eine Firma leiten, einer Regierung angehören, sie könnte Heilerin sein. Auf festen Schuhen geht sie auf und ab und telefoniert. Unweit der Bank, auf der Rinaldo sitzt, bleibt sie stehen.
    » Ich schalte mich keinesfalls persönlich ein « , sagt sie in fließendem Französisch. » Sie sind sein Anwalt, Sie müssen ihn da raushauen. Ich treffe mich inzwischen mit der Bruderschaft im Ausland. « Sie lacht. » Natürlich verrate ich Ihnen nicht, wo ich hinfliege. Rufen Sie mich nicht an, ich melde mich bei Ihnen. « Eine ärgerliche Falte zwischen ihren Augen. » Zerpflücken Sie diese lächerlichen Beweise gegen Marcantonio einfach! Er muss freikommen. Er muss! «
    Als ob sie bemerkt hätte, dass jemand ihr Gespräch belauscht, hält sie inne. » Einen Augenblick. «
    Sie kommt auf Rinaldo zu. Was sie sieht, ist ein alter Mann mit Krücke, dem die Krankheit ins Gesicht geschrieben steht. Sie kann keinen Verdacht gegen ihn haben, nicht einmal eine Ahnung. Und doch mustert ihn die Frau, als würden sie einander nicht zum ersten Mal begegnen.
    » Ich muss Schluss machen. « Sie steckt das Telefon weg. Ein Blick auf den Flugsteig, vor dem Rinaldo sitzt. » Sie fliegen nach Helsinki? « , fragt sie freundlich. Der Ton eines Verhörs liegt darunter.
    » So ist es. «
    » Haben Sie in Venedig Urlaub gemacht? «
    » Und Sie? «
    » So etwas Ähnliches. « Sie zuckt die Schultern. » Man ist immer zu kurz hier, nicht wahr? « Auf sein Schweigen sagt sie: » Guten Flug. «
    » Danke. «
    Sie geht in Richtung Halle. Über ihr zeigt die Tafel die nächsten Starts an – Mumbai, Istanbul, Genf, Toronto. Als Rinaldo den Blick senkt, ist Eleonora verschwunden.
    Man ruft seinen Flug auf. Menschen mit Behinderungen werden gebeten, als Erste einzusteigen. Rinaldo
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