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Diese eine Woche im November (German Edition)

Diese eine Woche im November (German Edition)

Titel: Diese eine Woche im November (German Edition)
Autoren: Michael Wallner
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Hände nicht vors Gesicht schlagen, sie sind gefesselt. Er wird aufgerichtet. Stehen kann er nicht, zu lange war die Blutzirkulation in den Beinen abgeschnitten.
    » Das wird schon – wird bald wieder – « , murmelt er.
    Julia umarmt ihn, streichelt sein Haar, sein Gesicht. » Papa « , flüstert sie und muss lachen. » Du hast ja immer noch nur einen Schuh an. «
    » Man gewöhnt sich dran. «
    Auch Tonio packt die Rührung, die Beklommenheit. Fast hat er vergessen, dass er Rinaldo in seinen Armen hält.
    » Du kannst mich absetzen « , sagt der Weißhaarige.
    Ein paar Kisten, hüfthoch gestapelt, Tonio legt ihn darauf. Er will zu Julia. Zugleich möchte er den Moment zwischen Vater und Tochter nicht stören.
    Rinaldo sieht sich um. In der Ecke stehen Tisch und Stuhl, der Kommissar wurde bewacht. Der Wächter hatte es sich mit einem tragbaren Fernsehgerät gemütlich gemacht. Das Programm läuft noch. Breaking News. Reporter berichten, Schlagzeilen werden eingeblendet. Sie erzählen von einem Ereignis, das nicht weit von hier stattfindet, und zwar in diesem Augenblick. Die Evakuierung der Insel Albarella ist in Gang. Das Gipfeltreffen wurde kurzfristig verschoben. Die Sicherheitslage machte es erforderlich. Kein Staatsoberhaupt ist auf der Insel eingetroffen. Sie wurden an einen sicheren Ort gebracht, bis Klarheit herrscht, was eigentlich los ist. Man rätselt und ermittelt, man will kein Risiko eingehen.
    Das Personal der Konferenz, die Assistenten und Sekretärinnen, die Journalisten und Angestellten des Hotels werden eilig aufs Festland gebracht. Auf dem Bildschirm sieht man einen Korridor. Sichtlich angespannt laufen Menschen an der Kamera vorbei. Kellnerinnen, Köche, Sicherheitsmänner. Eine Frau im dunkelblauen Kostüm ist unter ihnen. Neben ihrer Schönheit erkennt man, diese Frau ist wütend. Sie platzt fast vor Wut. Mit den Übrigen läuft sie den Korridor hinunter. Die Frau trägt keine Tasche bei sich. Sie verschwindet aus dem Bild. Gleich wird sie auf die Fähre gelangen, die für die Evakuierung nach Albarella geschickt wurde.
    » Wo bleibt die Ambulanz? « , ruft ein Soldat ins Funkgerät. » Die sind gleich da « , sagt er zu Julia und ihrem Vater. Er wendet sich zu Rinaldo. » Für Sie wird auch gesorgt, Signore. «
    Der Weißhaarige hebt die Hand, zum Zeichen, dass er es nicht eilig hat. Er wundert sich, dass er überhaupt noch lebt. Die alte Pumpe gibt nicht auf. Rätselhaftes Leben, das sich an uns klammert und von dem wir uns so schwer trennen. Rinaldo schließt die Augen und macht es sich auf den Artischockenkisten so bequem wie möglich.

41

    M it einem Mal herrscht Maiwetter. Jetzt, da die Menschen schon an Weihnachten denken, wird Venedig noch einmal frühlingshaft. Die Wolken ziehen ab, die Sonne strahlt von einem makellosen Himmel. Die Palazzi entlang des Canale Grande erzählen von ausgelassenen Festen, von leichter Musik und Fröhlichkeit. Die Venezianer ziehen ihre Daunenjacken aus und holen die Wildlederschuhe hervor. Ungläubig entblättern sich Touristen bis aufs T-Shirt und dösen, an ihre Rucksäcke gelehnt, in der Sonne. Kein dumpfes Graubraun auf den Kanälen, türkis schimmert das Lagunenwasser. Schaut man vom Markusplatz auf die Giudecca und weiter bis zum Lido, überkommt einen die Vision, wie groß und mächtig Venedig einmal war.
    Marcantonio Corniani wurde verhaftet. Auch wenn man noch nicht das ganze Register seiner Straftaten ermittelt hat, der Trucido, der sich zum Richter aufschwingen wollte, wird Gerechtigkeit erfahren. Nach einigem Suchen hat man das zylinderförmige Ding gefunden. Um es zu zünden, wäre nicht mehr nötig gewesen als ein Mobiltelefon. Weshalb es nicht dazu kam, ist Gegenstand der Untersuchungen. Die Opfer der Vorfälle wurden medizinisch behandelt, danach standen sie den Behörden zur Verfügung. Es war für Tonio ein Erlebnis besonderer Art, vor einem Staatsanwalt zu sitzen, nicht weil er etwas ausgefressen hatte, sondern im Dienst des Staates. Es war dem Müllfahrer Rodolfo lästig, über Ereignisse eine Aussage zu machen, von denen er nach wie vor wenig verstand. Es war Pippa unmöglich, in die Questura zu kommen, der Staatsanwalt musste sich ins Krankenhaus bemühen. Ihre Verbrennungen waren leichter Natur, aber das Rauchgas hatte die Schleimhäute und Atemwege in Mitleidenschaft gezogen. Sie war noch ziemlich schwach.
    Das alles kümmert Pippa nicht. Als die Sonne am stahlblauen Himmel dazu einlädt, ins Freie zu gehen, setzt sie sich auf
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