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Diese eine Woche im November (German Edition)

Diese eine Woche im November (German Edition)

Titel: Diese eine Woche im November (German Edition)
Autoren: Michael Wallner
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Ich will endlich ins Hauptquartier « , lässt sie nicht locker.
    » Rinaldo sagt Nein. «
    » Das denkst du dir bloß aus. « Pippa schlingt ihr Haar zu einem Knoten. Und plötzlich taucht hinter dem Vorhang aus Strähnen das hübsche, zarte Gesicht mit den glühend dunklen Augen auf. Die hübscheste Venezianerin, die man sich vorstellen kann.
    Tonio bemerkt die Verwandlung nicht. Er hat sie noch nie bemerkt. Er ahnt auch nichts von Pippas Liebe. Sie liebt ihn schon so lange. Genau genommen seit sie einander auf der Polizeistation zum ersten Mal begegnet sind. Damals war Pippa dreizehn und schon eine Diebin. Tonio war zwölf und in dieser Nacht als Schlüssel erwischt worden. Ein Schlüssel ist ein Kind, das von Einbrechern benutzt wird, um durch sehr kleine Öffnungen zu kriechen. Tonio hatte sich durch den Schornstein in eine Villa hinuntergelassen und den Einbrechern ein Fenster geöffnet. Sie wurden überrascht, die anderen konnten fliehen, nur Tonio nicht. Er und Pippa wurden von der Polizei der Obhut des Jugendamtes übergeben. Gemeinsam entkamen sie ein paar Tage später.
    Pippa wusste lange selbst nicht, dass sie Tonio liebt. Sie hielt es für schwesterliche Liebe, für Kameradschaft, für den Schulterschluss zweier Profis, die einen gefährlichen Job machen. Vor einem Jahr ging Pippa ein Licht auf. Es passierte, als sie nach einem geglückten Coup zusammen flitzten und vor einem Haus anhielten, an dem sich Sommerflieder hochrankte. Ein ungewöhnlicher Geruch stieg Pippa in die Nase. Sie wusste, wie Tonio riecht, wenn er gerannt ist. Diesmal roch sie etwas anderes. Den Fliederduft, gepaart mit dem Duft seines Körpers. Sie sah seine muskulösen Schultern, die kräftige Halslinie, das zornige Kinn, das er der Welt entgegenreckt. Sie sah die wunden Hände, aufgerissen beim Sprung über viele Mauern. Pippa bemerkte, dass seine Augen eine Sehnsucht in ihr weckten, die ihr neu war. Von da an wurde Pippas Verhältnis zu Tonio kompliziert. Sie spürte, dass er ihre Gefühle nicht erwiderte. Tonio nahm sie wahr wie eh und je – schnell, hart im Nehmen, die flinkste Diebin von Venedig.
    Eines Abends, Pippa schämt sich heute noch dafür, wollte sie ihm auf die Sprünge helfen. Statt der üblichen weiten Klamotten zog sie ein Kleid an, statt der Turnschuhe Pumps. Statt ihr Haar offen zu lassen, steckte sie es hoch, sodass es an Audrey Hepburn erinnerte. Das Ergebnis war, dass Tonio sie zuerst nicht erkannte und dann loslachte.
    » In dem Fummel willst du Brieftaschen klauen? «
    » Fummel? «
    » In den Schuhen kannst du nicht rennen. « Tonio lachte laut und dumm.
    Beschämt und gekränkt machte Pippa den Spaß scheinbar mit. Daheim verbrannte sie die unseligen Klamotten. Danach hasste sie Tonio für ein paar Tage, dann war alles wieder beim Alten. Sie waren aufeinander angewiesen. Pippa redete sich ein, dass Tonio noch kein Interesse an Mädchen hatte. Manchmal glaubte sie sich sogar selbst.
    » Mach keinen Ärger, okay? « Er nimmt sich den nächsten Rucksack vor.
    » Du bist ein blöder tätowierter Arsch. « Sie hüllt sich in ihren Schal, den sie in der kalten Jahreszeit praktisch immer trägt.
    » Du hast meinen Arsch doch noch nie bemerkt. « Er grinst, lässt die Tätowierung auf seinem Bizeps spielen und zieht die Jacke an. Nachts wird es schon ziemlich kühl.
    Pippa zieht los, die Rucksäcke hinter dem Palazzo Dandolo abzustellen. Auf diese Weise gelangen sie meistens ins Fundbüro. Pippa ist wütend auf Tonio. Dass sie es ist, macht sie noch wütender.

2

    N icht weit entfernt und doch durch die unsichtbare Grenze des Reichtums getrennt, liegt das Hotel Don Giovanni. Es bietet Viersterneluxus und hat sich zugleich den vergammelten Charme eines venezianischen Palazzo bewahrt. Das warme Wasser rinnt nur langsam durch die Leitungen. Die Teppichböden haben verräterische Flecken, auch wenn das Hotelpersonal schwören würde, dass es sich nicht um Schimmelpilz handelt. Die Betten sind historisch, die Matratzen auch, der Zimmerservice kommt zwar, doch lässt sich schwer sagen, wann.
    Julia und ihr Vater, Herbert Reichelt, sind im Don Giovanni abgestiegen. Vater und Tochter verbringen eine Woche Urlaub in Venedig. Julia freut sich auf die gemeinsamen Tage mit ihrem Vater, zugleich hat sie auch Bammel davor. Ihre Eltern sind geschieden. Spontan hat Herbert seine frühere Frau angerufen und vorgeschlagen, ihrer gemeinsamen Tochter eine Reise nach Venedig zu spendieren. Julia war begeistert. Ihre Mutter hatte
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