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Diebin der Zeit

Diebin der Zeit

Titel: Diebin der Zeit
Autoren: Vampira VA
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erregen.
    »Was treibst du für Scherze?« fauchte sie in das schmale, aristokratische Gesicht des schwarzhaarigen Mannes. Doch sie hatte kaum ausgesprochen, als sie innerlich vor dem Blick, der sie aus seinen Augen streifte, zurückprallte.
    Es war nicht nur die Verwirrtheit darin, die zu Racoons Frage gepaßt hätte - nein, es war die dringende und bemerkenswerte Einsicht, von diesen Augen noch nie betrachtet worden zu sein .
    Ruennes Oberkörper bog sich so weit nach hinten, als hielte sie etwas Abscheuliches mit spitzen Fingern von sich weg und wollte es so schnell wie möglich loswerden. Trotzdem wichen ihre Blicke nicht vom Gesicht des Bruders.
    »Sag, was passiert ist!« drängte sie, als seine Lippen hart aufeinan-dergepreßt blieben.
    Der Vorfall lenkte die Neugierde weiterer Sippenmitglieder auf sich. Aus allen Ecken und Winkeln des Gehöfts kamen sie heran. Vorsichtig schleichend wie Raubtiere, die der eigenen Witterung mißtrauten.
    Racoon beendete Ruennes Musterung und taxierte anschließend jede der ihn umringenden Gestalten mit gleicher Sorgfalt.
    »Wie komme ich hierher?« murmelte er plötzlich. Seine Stimme schwang in ungewohnter Tonlage. Er sah an sich hinab und wurde kreidebleich. »Das - das ist unmöglich! Wie ...?« Er fing sich und richtete sich neben Ruenne auf. Seine Hände zuckten, im Ansatz nicht erkennbar, auf sie zu und schlossen sich um ihren schlanken Hals.
    Ruenne war zu verblüfft, um sich zu wehren Racoon schnürte ihr nicht die Luft ab, aber er schüttelte sie hin und her.
    »Wo bin ich hier?« keuchte er immer wieder. »Wo? Und ... wer bin ich?«
    Abrupt gab er sie wieder frei. Ruenne fiel rücklings in den Staub. Dann, als würde ihr jäh bewußt, wie sehr er sie erniedrigt hatte, schnellte sie in den Stand zurück. Federnd setzten ihre Füße auf, und ihre Blicke schleuderten Blitze. Wäre es nach Ruenne gegangen, hätte sie jeden Eid geschworen, daß dies nicht mehr der Racoon war, den sie kannte.
    Doch bevor sie sich ihm angemessen widmen konnte, begannen sich andere Ereignisse zu überstürzen.
    *
    Wo - bin ich ...?
    Noch halte ich die Augen geschlossen, obwohl ich längst bei vollem Bewußtsein bin. Doch die Erinnerung knebelt mich: Gabriel ... Das Tor im Monte Cargano ...
    Eine ganze Weile liege ich nur da, das Gesicht auf kühlen Grund gepreßt. Ich atme flach, kaum hörbar. Mein Herz schlägt träge.
    Noch bevor ich Kopf und Lider hebe, weiß ich, daß mich ein Schock erwartet - auch wenn ich nicht vorherzusagen vermag, wie dieser erneute Alptraum gestrickt sein muß, um mein Ich abermals in den Grundfesten zu erschüttern.
    Zuerst hat mich ein Spalt verschlungen, das jenseitige Tor im Monte Cargano, aber nun ...
    WAS IST NUN GESCHEHEN ...?
    Ich erinnere mich, daß ich eine Blume von absurder Art berührte. Eine Lilie, die ihre feinen Wurzeln in eine monströse Masse getrieben hatte und sich von dem darin zirkulierenden Blut ernährte!
    Wieder überwältigt mich das Gefühl, in einer Seele, schwärzer noch als meine eigene, zu versinken - in ihrem fauligen Morast zu ersticken!
    Eben noch brannte die Luft schwefelig in meinen Lungen, und es war höllisch heiß. Aber nun .
    Ich öffne fremde Augen und spreche mit fremder Zunge. Auch die Kleidung, die ich trage, ist mir unbekannt - so unvertraut wie der Körper, in dem ich zu mir gekommen bin!
    DAS BIN ICH NICHT!
    Was ist geschehen, nachdem ich die Lilie berührte?
    Die Lilie ... Einst gab es einen Kelch derselben Form, geschaffen, um den Kindern der Urmutter Nachwuchs zu schenken. Den Hütern, von denen ich einer war .
    Aus fremden Augen sehe ich in die Augen Fremder. Der Mund, der nicht der meine ist, formt Worte: »Wie komme ich hierher? Das - das ist unmöglich! Wie ...?« Ich schüttele die mir am nächsten stehende Gestalt, eine Vampirin. »Wo bin ich hier? Wo? Und ... wer bin ich?«
    *
    Es war Rocard, der den anderen die Schärfe seines Blicks bewies, indem er nach Süden gestikulierte und ausrief: »Wir bekommen Besuch!«
    Ruenne und die anderen folgten seinem ausgestreckten Arm und entdeckten mehrere von Ochsen gezogene Karren, die im ersten Grau des Tages abseits erkennbarer Straßen auf Paris zuholperten.
    »Unbehauste!« rief Rocard abfällig. »Öde Possenreißer!«
    »Spielleute«, nickte Rabelais. »Aber ich hätte gegen eine kleine Vorstellung nichts einzuwenden .«
    Da traf ihn, aber nicht nur ihn, ein eisiger Windstoß. Eine Bö, die sofort alle Blicke von dem fahrenden Volk weg zur nahen Stadt
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