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Diebe

Diebe

Titel: Diebe
Autoren: Will Gatti
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sie Fay noch nie erlebt, nicht einmal, wenn Señor Moro seine Besuche gemacht hat. Baz möchte etwas sagen, aber es ist zu schwer. Auch Demi scheint im Moment eher klein als groß, kein Aufplustern, kein prahlerisches Gerede. Wie ein geprügelter Hund sieht er Fay an, doch Fays Blick ist auf Baz gerichtet.
    »Los, Baz!«, sagt Fay. »Sieh zu, dass du hier wegkommst.«
    Baz hört Schritte auf der Leiter, ein Rütteln an der Tür, und sie schwingt sich über den Sims, packt das Seil fest mit beiden Händen, klemmt es sich zwischen die Schenkel und lässt sich nach unten gleiten. Gleich darauf folgt Demi, rutscht mehr, als dass er klettert, verbrennt sich die Hände, rauscht fast in sie hinein. Die letzten zwei Meter springt sie, landet weich, kauert sich sofort in den Schatten. Demi trifft eine Sekunde später auf dem Boden auf, grunzt und fasst sich ans Bein. Das Seil kommt sogleich hinterher gesegelt.
    Baz blickt nach oben, sieht gerade noch Fays weißes Gesicht im Fenster, bevor es verschwindet. Es gab Zeiten, da pflegte Baz, wenn sie auf dem Weg zu ihrem Boot war, sich noch einmal umzudrehen und zu diesem Fenster in dem alten, baufälligen Gebäude hochzublicken, und da leuchtete dann dieses Licht. Sie musste dabei immer an weiches Gold denken.
    Sie wendet sich ab und geht, ohne etwas zu Demi zu sagen, los, am Ufer entlang Richtung Flusskrümmung, instinktiv auf ihr Boot zusteuernd, ihren Unterschlupf. Wie viel Zeit bleibt ihnen, bevor die Männer, eilig die Treppe heruntergepoltert in ihren italienischen Schuhen, wieder aus dem Haus heraus sind, um nach ihnen zu suchen? Wenige Minuten höchstens. Sie geht schneller. Fay wird ihnen Auskunft geben ... Paquetito, Raoul, Jungen, an deren Gesichter sie sich schon kaum mehr erinnern kann, alle weg, weil Fay es gemeldet hat, wenn sie ihr Ärger gemacht haben, und Demi und Baz haben ihr jetzt großen Ärger eingebrockt, haben ihn ihr direkt an die Tür gebracht, ihr vor den Füßen abgeladen, und dieser Ärger wird nicht so einfach wieder verschwinden wie das Eis, das Demi für so kostbar hielt und das einfach weggeschmolzen ist.
    Vielleicht ist es diesmal anders. Fay hat einen anderen Eindruck gemacht als sonst, hat ihnen geholfen zu fliehen. Vielleicht wird sie doch nichts sagen?
    Ihre Schritte klingen furchtbar laut, es geht über Kieselsteine und allerlei Gerümpel und die ganze Zeit rauscht das Barrio leise im Hintergrund.
    Sie wird langsamer, als sie plötzlich merkt, dass Demi nicht neben ihr ist. Er schlurft hinter ihr her, hält sich den verletzten Arm.
    »Alles klar bei dir?«
    Er antwortet nicht, versucht nur verbissen Schritt zu halten, aber sie kann hören, dass er heftig atmet, als würde bei jedem Schritt, den er macht, ein empfindlicher Nerv gereizt.
    Wenn die Männer jetzt kommen, haben sie keine Chance.
    »Du musst dich beeiln, Demi!«
    »Was glaubst du, was ich tu?«
    Und dann gibt es, irgendwo um die Ecke, einen hohen dünnen Schrei. Es könnte ein Kind, könnte auch eine Frau sein. Dergleichen hört man so manches Mal im Barrio und kümmert sich nicht weiter darum, aber Demi erstarrt, und es sieht so aus, als würde er umkehren wollen. »Es war nicht Fay, Demi!« Baz packt ihn am Arm, schüttelt ihn. »Niemand tut Fay was. Was glaubst du denn? Eduardo wird sie nicht anrühren. Sie ist seine Mutter, seine richtige Mutter. Komm weiter.«
    Sie zieht an ihm, einmal, zweimal, doch erst als eine Gestalt am Fenster erscheint und eine Taschenlampe ihren Strahl aufs Geratewohl über den Uferweg schickt, setzt er sich ruckartig in Bewegung und folgt ihr.
    Sie haben kaum zehn weitere Meter zurückgelegt, da ertönt vom Fenster her ein Ruf, und als Baz sich umdreht, sieht sie, dass der Lichtstrahl jetzt systematisch vorgeht, sich langsam und sorgfältig in alle dunklen Winkel und Ecken gräbt, die sich zwischen Gerümpel, Bauschutt und den verrottenden umgestürzten Bootsrümpfen bilden. Sie gehen, so schnell sie können, so schnell Demi kann, ein Zwischending aus Gehen und Laufen. Sie gelangen an die Krümmung. Wenige Sekunden noch, dann sind sie außer Reichweite, aber der Lichtstrahl hat sie fast eingeholt. Sie packt Demi, zieht ihn zur Seite, schiebt ihre Finger unter den Rand des Bootsrumpfes, wo sie ihr Wasser lagert, und stemmt ihn hoch. »Kriech da rein, Demi«, sagt sie hastig. »Ich führ ihnen ein Tänzchen vor. Du bist zu langsam.«
    »Okay, aber nur dies eine Mal. Nächstes Mal ich wieder.«
    »Klar doch.«
    Er krabbelt unter den umgedrehten Rumpf,
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