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Diebe

Diebe

Titel: Diebe
Autoren: Will Gatti
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Bröckeln und Rieseln von noch mehr Dreck und dann das Knirschen von Metall, und schon ist ein Luftzug zu spüren. Für einen Moment verhält sich Demi ganz still. Sie weiß, was er denkt: Ist die Luft rein? Sie stößt ihn mit dem Fuß an, eine Aufforderung, sich in Bewegung zu setzen. Wozu warten? Wenn sie hier liegen bleiben, sind sie eh tot. Lieber gefangen genommen werden, als in einem Abflussrohr begraben zu sein und nichts als Ratten und Insekten zur Gesellschaft zu haben.
    Sie hört ihn nach draußen kriechen, und gleich darauf fühlt sie seine Hand, die sie an den Beinen rückwärtszieht, bis auch sie sich durch die Luke nach oben winden kann. In einer einzigen fließenden Bewegung rollt sie sich in die Hockstellung und blickt forschend durch die Gasse. Es wird jemand an der Ecke sein, jemand auf dem Dach, vielleicht noch jemand unten am Fluss, lauter Rattenaugen, die nach ihnen Ausschau halten. Ausschau aber heißt, dass sie von der Bude wegschauen – auf die Tür, die in Fays Haus führt, achtet keiner.
    Stumm, in blindem Einvernehmen, schlüpfen sie schattengleich in die geisterhafte Leere des Lagerhauses, halten dann inne, um erneut zu lauschen und sich umzublicken. Niemand im Treppenhaus. Sie eilen hinunter in den Keller, tasten sich durch die Tintenschwärze hindurch zu Fays Versteck, ertasten auch den losen Ziegelstein und ziehen ihn aus der Mauer.
    Kinderleicht. Es ist so einfach, denkt Baz. Das gibt’s gar nicht, dass etwas so leicht geht. Nie.
    Jeden Moment rechnet sie mit dem Geräusch von Schritten, die von hinten die Treppe herunterkommen, dem Flackern einer Taschenlampe, Stimmen, Fay.
    »Schwer«, flüstert Demi. »Als hätt sie alles, was wir ihr gebracht ham, in diesen kleinen Kasten gepackt.«
    »Biste zufrieden? Willste die ganze Nacht hier stehn und träumen oder können wir jetzt wieder gehn?«
    »Ich bin am Überlegen«, sagt Demi.
    Baz schiebt sich zurück zur Treppe und wartet dort. Warum können sie nicht einfach abhauen? Was ist los mit ihm? Was will er noch? Er braucht nichts zu überlegen; Demi ist Bewegung, schnelle Bewegung, so schnell, dass keiner erkennt, dass er da ist, was er tut. Seine Hände besorgen das Überlegen für ihn, also was macht er da jetzt?
    Ganz oben im Gebäude hört sie eine Tür auf- und wieder zugehen.
    »Ich denke, wir sollten Fay sagen, was wir gerade tun.« Demis Stimme ist so leise, als würde er zu sich selbst sprechen.
    »Bist du verrückt?«, zischt sie. Das ist es also. Sie wusste doch, dass er mit so etwas kommen würde, aber das hindert sie nicht daran zu versuchen, ihm ein bisschen Verstand einzuhämmern. »Glaubst du im Ernst, sie lässt uns danach einfach gehn?«
    »Sie soll wissen, dass ich sie nicht bestehle«, sagt er, »sondern nur nehme, was uns gehört. Wir ham das Recht, das zu tun.« Baz kann ihn im Moment überhaupt nicht sehen, die Dunkelheit hat ihn vollkommen verschluckt. Eine Stimme ohne Körper.
    »Du hältst das, was du wolltest, in der Hand«, sagt sie verzweifelt. »Nimm einfach einen Teil raus und lass den Rest. Wenn du dich ihr zeigst, biste deinen Kopf los.« Sie spürt, dass er sich auf sie zubewegt, fühlt seinen Atem in ihrem Gesicht.
    »Ich muss, Baz. Sie –«
    »Sie hat sich verändert. Wir bedeuten ihr überhaupt nix mehr. Hast es doch gesehn, Demi. Hör auf zu träumen, wach auf.«
    »Für mich hat sich nix geändert.«
    Und damit hat sich’s. Er schlüpft an ihr vorbei, ein Schatten in der Dunkelheit, der plötzlich Gestalt annimmt, als er sich die Treppe hinauf von ihr entfernt.

28
    Er hat sie nicht gebeten, mit ihm zu kommen! Hat sie auch nicht gebeten, auf ihn zu warten!
    Alle ihre Instinkte drängen sie, hier zu verschwinden, und zwar sofort, solange sie noch die Möglichkeit dazu hat, aber sie rührt sich nicht. Sie fühlt, wie er sich nach oben bewegt, geräuschlos, obwohl die Schmerzen in seinem Bein ihn ein wenig humpeln lassen.
    Mit einem Mal weicht alle Wut von ihr. Man kann andere Leute nicht einfach gehen lassen, selbst wenn man es eigentlich sollte. Sie nimmt zwei Stufen auf einmal, holt ihn auf dem mit rohem Zement bedeckten Absatz vor der Bude ein.
    Sie sehen sich an. »Wisch dir das Gesicht ab, Baz«, sagt er, aber nicht mit der alten Demi-Stimme, sondern ganz sanft.
    Mit dem Ärmel ihres Shirts versucht sie sich den Dreck aus dem Gesicht und die Nässe aus den Augen zu wischen. Gern würde sie ihm sagen, dass er auch nicht so toll aussieht, aber sie traut ihrer Stimme nicht. Er stößt die Tür
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