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Diebe

Diebe

Titel: Diebe
Autoren: Will Gatti
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auch wenn es nicht so aussieht, als würde die Polizei aktiv irgendjemanden am Kommen oder Gehen hindern. Vielleicht sind ihre Schlachten bereits geschlagen, alle Schattenmänner aus dem Weg geräumt. Vielleicht haben sie sich, weil es Abend ist, nur vorübergehend zurückgezogen. Das Barrio bei Tag ist eine Sache, aber das Barrio bei Nacht – das ist etwas ganz anderes, selbst für eine bis an die Zähne bewaffnete Polizei.
    Sie schlüpfen in die schmale Gasse, die sie für gewöhnlich benutzen und die wie eine Ader tief ins Barrio hineinführt. Als sie bei der Ecke sind, wo Mama Balis Küche einst gestanden hat, trennen sie sich von Lucien. »Norte«, sagt Baz, »morgen – alles klar, Lucien. Du kommst mit uns. Halb neun am Norte. Wir nehmen den Morgenzug nach Tianna.« Sie ergreift seine raue Hand. »Hörst du?«
    Lucien zeigt sein scheues Lächeln. »Ich hör dich, Baz. Norte, Morgenzug nach Tianna.«
    »Auf dem Querbahnsteig. Wir besorgen deine Fahrkarte. Okay?«
    »Okay.« Er hebt die Hand, grüßt mit geballter Faust und wendet sich zum Gehen.
    Baz und Demi machen sich auf den Weg zur Bude. »Was! Was sagst du zu dem? Du willst ihm morgen ’ne Fahrkarte kaufen? Hast dich in Lucien verguckt? Dachte, du hättst nur Augen für mich. Wenn du mir gleich wegläufst, nur weil ich mal ’n bisschen Pech hatte, taugste aber nicht besonders viel, eh.«
    »Demi, du hast ’n schlimmeres Maul als ’n quiekendes Schwein.«
    »Wo hast du denn ’n Schwein gesehn?«
    »Auf’m Markt hab ich’s gesehn, bevor sie’s am Schwanz aufgehängt ham. Vielleicht passiert dir das auch mal, wenn du immer so durch die Gegend quiekst.«
    Es ist alte Gewohnheit bei ihnen, sich gegenseitig Schmähungen an den Kopf zu werfen – Demi tut großspurig, Baz stutzt ihm den Kopf zurecht. Aber diesmal ist es anders, diesmal verdeckt der atemlos geflüsterte Wortwechsel, so beiläufig er klingt, das, was sie wirklich fühlen, während sie still und leise durch das Labyrinth hasten. Um sie herum atmet das Barrio. Ein wütend orangefarbenes Licht flackert rechts am Himmel – noch ein Gebäude, das brennt. Musik vibriert dumpf in der stickigen Luft. Dunkle Gestalten eilen an ihnen vorbei. Jedes Mal, wenn sie jemand kommen hören, drücken sie sich in irgendwelche Spalten, um sich zu verstecken, halten den Atem an, spähen, alle Sinne angespannt, ängstlich in die Dunkelheit.
    Ängstlich und auch resigniert, so jedenfalls empfindet es Baz. Sie waren so nahe daran, frei zu sein, und jetzt könnten sie ebenso gut auf direktem Weg zum Schloss gehen, an die riesigen Türen schlagen und den Greifern zurufen, sie möchten sie bitte einsperren und den Schlüssel wegwerfen. Vielleicht wäre das sogar besser gewesen, als sich auf diese Art ins Barrio hineinzustehlen.
    Wer sollte wohl in der Bude auf sie warten? Fay. Fay weiß bestimmt, dass sie entkommen sind. Fay rechnet damit, dass Demi zurückkehrt. Fay hat Demi so lange an der Leine gehabt, da kann sie sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, dass er imstande wäre, selbstständig zu denken.
    Sie wird also da sein, wartend, Pläne schmiedend, überzeugt davon, dass sie in Sicherheit ist mit ihrem Engelsjungen und seinen cleveren Winkelzügen. Sie ist allerdings blind, glaubt Baz, blind vor Liebe. Sie hat nicht gesehen, wie er wirklich ist, hat nicht das grobe Lachen gehört, als Baz ihn nach Fay gefragt hat. Doch sie schiebt diese Gedanken beiseite. Das alles spielt jetzt keine Rolle. Jetzt geht es nur noch darum, dass sie und Demi ihre Sache erledigen und verschwinden, bevor die Greifer sie erwischen oder die Planierraupen beim Lagerhaus anrücken.
    Sie liegen flach auf dem Bauch und arbeiten sich gerade langsam in dem alten Graben nahe der Bude voran, als sie das erste Mitglied der Bande entdecken: Giacomo, oben neben dem Brett, das den Graben überbrückt. Garantiert ist es so gedacht, dass er sich in den Schatten des Gebäudes hinter ihm drückt, aber Giacomo ist noch nie besonders gut im Verstecken gewesen, es sei denn, Miguel war bei ihm und hat ihm gesagt, was er zu tun hat. Die Tatsache, dass sie ihn sehen können, bedeutet also wahrscheinlich, dass er allein ist. Aber er steht auf Beobachtungsposten, denn einen anderen Grund gibt es nicht, sich um diese Zeit hier draußen aufzuhalten. Baz kann einen leichten Lichtschimmer in seiner Hand ausmachen. Fay hat ihm ein Handy gegeben. Fay wird im Alter noch großzügig, großzügig oder vielleicht einfach nur nervös. Sie hat immer gesagt, dass
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