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Die Zeugin

Die Zeugin

Titel: Die Zeugin
Autoren: Brown Sandra
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walten zu lassen. Ohne den Deputy eines weiteren Blickes zu würdigen, begleitete er Kendall den Gang hinunter.
    Â»Er hat eine Tibiafraktur – gemeinhin als Schienbeinbruch bekannt«, erläuterte er. »Der Bruch weist keine Komplikationen auf, wir brauchen also nicht zu operieren, sondern nur einen Gips. Damit hat er großes Glück gehabt. Ihrer Beschreibung des Wagens nach zu urteilen ...«
    Â»Die Motorhaube war wie ein Papierfächer zusammengeschoben. Eigentlich hätte ihm das Lenkrad die Brust zerquetschen müssen.«
    Â»Genau. Ich hatte mit Rippenbrüchen, inneren Blutungen oder Organverletzungen gerechnet, aber für all das gibt es keine Anhaltspunkte. Sein Zustand stabilisiert sich. Das ist die gute Nachricht.
    Die schlechte Nachricht ist, daß er einen ziemlichen Schlag auf den Kopf erwischt hat. Die Röntgenaufnahmen lassen nur einen Haarriß im Schädelknochen erkennen, aber um die Wunde zu schließen, waren ein Dutzend Stiche nötig. Das sieht im Moment nicht besonders hübsch aus, aber im Lauf der Zeit wächst Haar über die Sache. Die Narbe wird ihn nicht allzusehr entstellen«, meinte er lächelnd.
    Â»Er hat ziemlich stark geblutet.«
    Â»Wir haben ihm sicherheitshalber eine Blutkonserve verabreicht. Dann ist da noch eine Gehirnerschütterung, aber die wird nach ein paar Tagen Bettruhe überwunden sein. Mit seinem gebrochenen Bein braucht er allerdings mindestens einen
Monat lang Krücken. Ihm wird kaum etwas anderes übrigbleiben, als im Bett zu liegen, zu faulenzen und sich zu erholen. Da wären wir.« Er schob sie auf ein Zimmer zu. »Erst vor ein paar Minuten ist er wieder zu sich gekommen, deshalb sieht er noch so benommen aus.«
    Der Arzt trat vor ihr in den abgedunkelten Raum. Sie blieb einen Moment auf der Schwelle stehen und ließ ihre Blicke schweifen. An einer Wand hing ein schauderhaftes Ölbild, das Christi Himmelfahrt zeigte; gegenüber prangte ein Poster mit Vorsichtsmaßnahmen gegen Aids. Es war ein privates Zweibettzimmer, aber er lag hier allein.
    Sein eingegipster Unterschenkel ragte hoch über ein Kissen hinaus. Man hatte ihm ein Krankenhaushemd angezogen, das ihm knapp bis zu den Beinen reichte. Braun und kräftig und kein bißchen kränklich hoben sie sich von den weißen Laken ab.
    Eine Schwester maß gerade den Blutdruck. Die dunklen Brauen lagen zerfurcht unter dem breiten Gazeverband um seinen Kopf. Sein Haar war von Blut und Desinfektionsmitteln verklebt. Eine furchterregende Ansammlung blauer Flecken färbte seine Arme. Schwellungen, Quetschungen und Prellungen entstellten sein Gesicht, aber das senkrechte Grübchen in seinem Kinn und der feste, leicht schiefe Mund, in dem ein Thermometer steckte, waren unverkennbar.
    Flott schritt der Arzt ans Bett und las den Blutdruck ab, den die Krankenschwester auf dem Krankenblatt des Patienten eingetragen hatte. »Sein Zustand bessert sich laufend.« Er murmelte noch einmal zustimmend, als ihm die Schwester seine Temperatur mitteilte.
    Obwohl Kendall immer noch unschlüssig in der Nähe der Tür verharrte, fing sein Blick sie sofort ein. Er leuchtete aus seinen Augen, die aufgrund der Schmerzen und des Blutverlusts
tief und dunkel in den Höhlen lagen. Aber er war fest und durchdringend wie zuvor.
    Schon als sie ihm zum allerersten Mal in die Augen gesehen hatte, hatte sie seine Intensität gespürt und bewundert. Ein bißchen hatte sie ihn sogar gefürchtet und fürchtete ihn immer noch. Irgendwie besaß er eine geradezu unheimliche Begabung, sie auf höchst beunruhigende Weise zu durchschauen.
    Gleich bei ihrer ersten Begegnung war er ihr auf die Schliche gekommen. Er erkannte eine Lügnerin auf den ersten Blick.
    Sie hoffte, daß sein hellseherisches Talent ihm nun verriet, wie leid es ihr tat, daß er verletzt worden war. Allein ihretwegen war es zu dem Unfall gekommen. Er war gefahren, aber sie trug die Schuld an seinem Zustand und seinen Qualen. Die Erkenntnis erfüllte sie mit Gewissensbissen, sie war bestimmt die letzte, die er an seinem Leidenslager sehen wollte.
    Die Schwester interpretierte ihr Zögern falsch und winkte ihr freundlich zu. »Es geht ihm schon wieder einigermaßen. Sie können näher kommen.«
    Kendall kämpfte ihre Vorbehalte nieder, trat ans Bett und schenkte dem Patienten ein mißglücktes Lächeln. »Hallo. Wie geht’s?«
    Seine Augen
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