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Die Zeugin

Die Zeugin

Titel: Die Zeugin
Autoren: Brown Sandra
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rauher Stimme. »Auf dem Beifahrersitz saß noch jemand. Sie ist mit dem Wagen untergegangen.«
    Die Erwähnung eines Unfallopfers nahm der unumgänglichen Befragung des Deputys plötzlich jede Routine. Er zog die Stirn in Falten. »Wie? Eine Beifahrerin?«
    Kendalls Selbstbeherrschung fiel in sich zusammen, und sie begann in einer verzögerten Reaktion auf das entsetzliche Erlebnis zu weinen. »Es tut mir leid.«
    Die Schwester reichte ihr eine Schachtel Kleenex und drückte ihr die Schulter. »Schon in Ordnung, Schätzchen. Wer so tapfer war, darf weinen, soviel er will.«
    Â»Wir wußten nicht, daß außer Ihnen, Ihrem Baby und dem Fahrer noch jemand im Auto war«, erklärte der Deputy aus Rücksicht auf ihre emotionale Verfassung leise.
    Kendall schneuzte sich. »Sie saß auf dem Beifahrersitz und war schon tot, als der Wagen unterging. Wahrscheinlich ist sie gleich beim Aufprall gestorben.«
    Nachdem sie Kevin auf mögliche Verletzungen untersucht und gemerkt hatte, wie schnell der Fluß stieg, hatte sich Kendall verzagt und mit einer instinktiven Ahnung, was sie dort erwarten würde, zur Beifahrerseite vorgearbeitet. Diese Seite war mit voller Wucht aufgeprallt, die Tür eingedellt und die Scheibe herausgeschlagen.
    Kendall erkannte auf den ersten Blick, daß die Frau auf dem Sitz tot war. Ihr früher hübsches Gesicht war eine unkenntliche Masse aus zersplitterten Gesichtsknochen und zerrissenem Gewebe. Das Armaturenbrett und ein Wirrwarr von Motorteilen hatten sich in ihre Brust gebohrt. Der Kopf baumelte wie losgerissen auf ihrer Brust.
    Ohne sich von dem Blut und Schleim abschrecken zu lassen, der alles überzog, langte Kendall durch das Fenster und legte
ihre Finger in der Nähe der Schlagader auf den Hals. Sie spürte keinen Puls.
    Â»Ich wollte erst versuchen, uns andere zu retten«, setzte sie dem Deputy auseinander, nachdem sie ihm die Szene beschrieben hatte. »Ich wünschte, ich hätte sie noch rausholen können, aber ich wußte ja, daß sie schon tot war, deshalb ...«
    Â»Unter den gegebenen Umständen haben Sie völlig korrekt gehandelt, Madam. Sie haben die Lebenden gerettet. An Ihrer Entscheidung ist nichts auszusetzen.« Er machte eine Kopfbewegung zu dem schlafenden Baby hin. »Sie haben wesentlich mehr getan, als irgendwer von Ihnen verlangen konnte. Wie haben Sie den Fahrer rausgeholt?«
    Nachdem sie festgestellt hatte, daß die Frau tot war, hatte Kendall Kevin auf der Erde abgelegt und sein Gesicht mit einem Zipfel seiner Decke zugedeckt. So lag er zwar unbequem, war aber fürs erste in Sicherheit. Dann stolperte sie zur anderen Wagenseite. Der Kopf des Fahrers hing über dem Lenkrad. Kendall nahm all ihren Mut zusammen, sprach ihn an und berührte ihn an der Schulter.
    Ihr stand noch vor Augen, wie sie ihn sacht gerüttelt hatte und wie erschrocken sie war, als er daraufhin in den Sitz zurückfiel. Sie zuckte zusammen, als Blut aus seinem schlaffen Mundwinkel sickerte. Über seiner rechten Schläfe klaffte ein tiefer Schnitt; im übrigen sah sie keine Verletzungen. Seine Augen waren geschlossen, und die Lider bewegten sich nicht, daher konnte sie nicht erkennen, ob er tot war. Sie faßte in den Wagen und legte die Hand auf seine Brust.
    Sein Herz schlug noch.
    Dann ruckte der Wagen ohne Vorwarnung über den unebenen Boden, rutschte ein paar Meter abwärts und schleifte sie dabei mit. Ihr Arm war immer noch im Wagen und wurde dabei fast ausgerenkt.

    Das Auto kam allmählich und schwankend zum Halten, doch sie wußte, daß es nur eine Frage der Zeit war, bis es von dem reißenden Wasser verschlungen würde, das schon an die Reifen schlug. Der schwere, feuchte Boden gab bereits unter dem Gewicht des Fahrzeugs nach. Ihr blieb keine Zeit, die Lage zu analysieren oder eventuelle Alternativen abzuwägen oder in Betracht zu ziehen, wie gern sie ihn losgeworden wäre.
    Sie hatte allen Grund, ihn zu fürchten und zu hassen. Aber sie wollte nicht, daß er starb. Bestimmt nicht. Ein Leben, jedes Leben, verdiente, gerettet zu werden.
    Und so begann sie, befeuert von einem ungeheuren Adrenalinschub, mit bloßen Händen den Schlamm wegzuschaufeln und die widerspenstigen Schlingpflanzen auszureißen, die sie daran hinderten, die Fahrertür zu öffnen.
    Als es ihr schließlich gelang, sie aufzuzerren, sank im selben Moment sein Leib in ihre offenen
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