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Die Zeugin

Die Zeugin

Titel: Die Zeugin
Autoren: Brown Sandra
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lassen.
    Â»Prosper ist ein konservativer Ort, ein konservatives County«, holte er aus. »Und die Menschen sind stolz darauf. Bei uns wird alles so gehalten wie schon seit Generationen. Wir ändern uns nur langsam, und wir mögen es nicht, wenn man uns dazu zwingt. Eine Anwältin ist für uns etwas Neues.«

    Â»Sie sind also der Ansicht, daß die Frauen zu Hause bei Kindern, Küche und Putzkübel bleiben sollten? Daß sie keinen Beruf erlernen sollten?«
    Er wehrte ab: »So würde ich es nicht ausdrücken.«
    Â»Nein, natürlich nicht.«
    Ein so freimütiges Bekenntnis hätte ihn allerlei Stimmen kosten können. Was er in der Öffentlichkeit von sich gab, hatte er normalerweise vorkalkuiert. Richter H. W. Fargo war ein leidenschaftlicher Politiker, leider leistete er als Richter wesentlich weniger.
    Â»Ich sage nur, daß Prosper ein netter, sauberer Ort ist. Probleme wie in anderen Städten gibt es hier nicht. Wir ersticken verderbliche Entwicklungen schon im Keim. Und wir – damit meine ich mich und andere Vertreter der Öffentlichkeit – beabsichtigen, unser Niveau beizubehalten.«
    Â»Halten Sie mich etwa für eine verderbliche Entwicklung, Herr Richter?«
    Â»Aber nein, aber nein.«
    Â»Es ist mein Beruf, all jenen Rechtsbeistand zu leisten, die keinen Anwalt bezahlen können. Die Verfassung gewährt jedem Bürger der Vereinigten Staaten das Recht auf Verteidigung vor Gericht.«
    Â»Ich weiß, was die Verfassung gewährt«, giftete er zurück.
    Kendall lächelte, um ihrem Affront die Schärfe zu nehmen. »Ich muß mir das manchmal selbst ins Gedächtnis rufen. Meine Arbeit bringt mich ständig mit einer Seite unserer Gesellschaft in Kontakt, die wir alle gern verleugnen würden. Aber solange es Kriminelle gibt, brauchen wir jemanden, der sie vor Gericht vertritt. Ich versuche jedem Fall nach bestem Vermögen gerecht zu werden, so abstoßend mein Mandant auch sein mag.«
    Â»Niemand zweifelt an Ihren Fähigkeiten. Trotz dieser häßlichen Sache damals in Tennessee ...« Er brach ab und senkte
scheinheilig den Blick. »Aber warum sollten wir ausgerechnet heute davon anfangen?«
    Warum wohl? Der Richter hatte sie mit voller Absicht an diese alte Geschichte erinnert. Daß er sie für dumm genug hielt zu glauben, die Bemerkung sei ihm versehentlich herausgerutscht, ärgerte Kendall besonders.
    Â»Sie leisten gute Arbeit, sehr gute Arbeit«, meinte er wohlwollend. »Auch wenn ich zugeben muß, daß ich mich erst daran gewöhnen mußte, mit einer Frau über Rechtsfragen zu diskutieren.« Sein Lachen klang wie eine Gewehrsalve. »Wissen Sie, bis Sie zu Ihrem Vorstellungsgespräch erschienen, dachten wir, Sie seien ein Mann.«
    Â»Mein Name wirkt vielleicht irreführend.«
    Der Vorstand der Anwaltskammer in Prosper County hatte beschlossen, einen Pflichtverteidiger zu bestellen, um die Kammermitglieder von der lästigen Pflicht zu befreien, Bedürftige vor Gericht zu vertreten. Solche Fälle kosteten oft viel Zeit und verursachten erhebliche Einnahmeausfälle, selbst wenn sie den Anwälten reihum zugewiesen wurden.
    Die Mitglieder des Vorstands hatten ihren Augen nicht getraut, als Kendall statt in Anzug und Krawatte in hochhackigen Pumps und einem Kostüm vor ihnen erschien. Der Lebenslauf war so eindrucksvoll gewesen, daß die Anwaltskammer positiv auf die Bewerbung reagiert hatte und sie beinahe unbesehen eingestellt hätte. Das Bewerbungsgespräch hatte man eigentlich nur der Form halber angesetzt.
    Und nun war eine Frau auf dem Problemposten gelandet. Kendall wußte, daß sie auf eine Mauer von Vorurteilen und Männerkumpanei treffen würde, deshalb hatte sie ihre Argumente sorgfältig einstudiert. Ihre Rede zielte darauf ab, die Vorurteile ihrer Gesprächspartner zu widerlegen und ihre Ängste zu beschwichtigen, ohne sie dabei zu kränken.

    Den Job wollte sie um jeden Preis haben. Sie war dafür qualifiziert, und da ihre Zukunft vom Ausgang dieses Bewerbungsgesprächs abhing, hatte sie alles auf eine Karte gesetzt.
    Offenbar war ihr Auftreten gut bewertet worden, denn das Komitee hatte ihr die Stelle angeboten. Der eine dunkle Fleck auf ihrer beruflichen Weste war bei der Entscheidung längst nicht so ins Gewicht gefallen wie ihr Geschlecht. Vielleicht hatte man dazu geneigt, eben wegen ihrer Weiblichkeit Milde
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