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Die Zeugin

Die Zeugin

Titel: Die Zeugin
Autoren: Brown Sandra
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Arme. Sein blutiger Kopf fiel auf ihre Schulter. Unter dem leblosen Körper sackte sie in die Knie.
    Sie schlang die Arme um seine Brust und rückte ihn vom Lenkrad weg. Es war ein Kampf. Mehrmals verlor sie den Halt in dem glitschigen Schlamm und landete schmerzhaft auf dem Hinterteil. Aber jedesmal rappelte sie sich wieder hoch, bohrte die Hacken in den Boden und zerrte ihn mit aller Gewalt weiter aus dem Wrack. Seine Füße polterten gerade über das Trittbrett als der Wagen sich aus seiner labilen Verankerung löste und in den Fluß rutschte.
    Kendall schilderte die Ereignisse wahrheitsgetreu, allerdings ohne ihre Gedanken dabei zu offenbaren. Als sie zum Schluß kam, hatte der Deputy quasi Habachtstellung eingenommen, als wolle er vor ihr salutieren. »Madam, dafür kriegen Sie wahrscheinlich ’nen Orden oder so.«
    Â»Das bezweifle ich entschieden«, murmelte sie.

    Er zog ein kleines Spiralnotizbuch und einen Kugelschreiber aus seiner Hemdtasche. »Name?«
    Sie gab vor, ihn nicht zu verstehen, um Zeit zu gewinnen. »Verzeihung?«
    Â»Ihr Name?«
    Die Angestellten des kleinen Krankenhauses hatten sie freundlicherweise aufgenommen, ohne sie lange mit Formularen oder Fragebögen zu behelligen. In einem Großstadtkrankenhaus wäre eine so vertrauensselige, formlose Aufnahme unvorstellbar gewesen. Aber hier auf dem Land, in Georgia, legte man noch größeren Wert auf Mitgefühl als auf das Einsammeln von Versicherungsnachweisen.
    Jetzt allerdings wurde Kendall vollkommen unvorbereitet und unnachsichtig mit der Wirklichkeit konfrontiert. Sie hatte sich noch nicht überlegt, was zu tun war, wieviel sie verraten und wie es weitergehen sollte.
    Sie hatte keine Skrupel, die Wahrheit ein bißchen zurechtzubiegen. Das tat sie schon, seit sie denken konnte. Und zwar oft. Aber die Polizei anzulügen, war kein Kinderspiel. So weit war sie noch nie gegangen.
    Sie rieb sich die Schläfen und überlegte, ob sie sich nicht doch ein Schmerzmittel geben lassen sollte, um das Dröhnen in ihrem Kopf zu dämpfen. »Mein Name?« wiederholte sie ausweichend, während sie insgeheim um eine brillante Eingebung flehte. »Oder der Name der Toten?«
    Â»Fangen wir mit Ihrem Namen an.«
    Sie hielt eine Sekunde den Atem an, dann sagte sie leise: »Kendall.«
    Â»K-e-n-d-a-l-l? Ist das so richtig?« fragte er, während er den Namen in sein Notizbuch schrieb.
    Sie nickte.
    Â»Also, Mrs. Kendall. Hieß die Verstorbene auch so?«

    Â»Nein, Kendall ist ...«
    Bevor sie den Deputy über seinen Irrtum aufklären konnte, wurde der Vorhang so energisch zur Seite gerissen, daß die Metallringe auf der ungeölten Schiene kreischten. Der diensttuende Arzt marschierte herein.
    Kendalls Herz setzte einen Schlag lang aus. Ängstlich hauchte sie: »Wie geht es ihm?«
    Der Arzt grinste. »Er lebt, und das hat er Ihnen zu verdanken.«
    Â»Ist er schon wieder bei Bewußtsein? Hat er irgendwas von sich gegeben? Was hat er Ihnen gesagt?«
    Â»Wollen Sie nicht selbst nach ihm sehen?«
    Â»Ich ... ich denke schon.«
    Â»He, Doc, Moment mal. Ich muß ihr noch ein paar Fragen stellen«, beschwerte sich der Deputy. »Jede Menge wichtiger Papierkram, wenn Sie verstehen.«
    Â»Kann das nicht warten? Sie ist mit den Nerven am Ende, und ich kann ihr kein Beruhigungsmittel geben, weil sie noch stillt.«
    Der Deputy warf einen Blick auf das schlafende Baby, dann auf ihren Busen. Er lief rot an wie ein Puter. »Also, es kann wohl wirklich noch warten. Aber irgendwann müssen wir es hinter uns bringen.«
    Â»Klar doch«, stimmte der Arzt zu.
    Die Krankenschwester nahm Kendall das Baby ab, ohne daß Kevin dabei aufwachte. »Ich suche dem kleinen Goldschatz ein Bettchen auf der Säuglingsstation. Machen Sie sich seinetwegen keine Sorgen. Gehen Sie ruhig mit dem Doktor!«
    Der Deputy fummelte an seiner Hutkrempe herum und trat von einem Fuß auf den anderen. »Ich warte so lange hier draußen. Und wann immer Sie bereit sind, Ma’am, äh, hier weiterzumachen ...«

    Â»Sie können ja inzwischen einen Kaffee trinken gehen«, vertröstete ihn der Mann im weißen Mantel.
    Er war jung und dynamisch und Kendalls Einschätzung nach ungeheuer von sich eingenommen. Die Tinte auf seinem Diplom war wahrscheinlich noch feucht, aber es bereitete ihm offensichtlich Vergnügen, seine begrenzte Autorität
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