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Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Titel: Die Zerbrechlichkeit des Gluecks
Autoren: Helen Schulman
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hatte unten Rollen und ließ sich wie ein Spielzeughündchen über den Gehweg ziehen.
    Weil Coco nie im Leben ein feines Kleidchen tragen würde, hatte Liz ihr ein paar Leggings und einen Batikminirock eingepackt, dazu verschiedene T-Shirts zur Auswahl: Happy Bunny, Cocoa Puffs, Monkey Julius – auf dem der breit grinsende Affe eine Zahnspange trug –, dazu den gewünschten chinesischen Schlafanzug. Die Grundschulkinder trugen Schuluniform, also eine einfarbige Hose (keine Jeans) oder besagten Faltenrock, dazu ein weißes Polohemd und eine schlichte graue Strickjacke mit in Silberfaden aufgesticktem Schulemblem. Die riss Coco sich unterwegs immer sofort herunter und schmiss sie zusammengeknüllt wie einen Ball über die Schulter, im Vertrauen, dass ihre Mutter direkt hinter ihr das Ding auffing. Dann zog sie eine weiße Lederschirmmütze aus dem Rucksack, den Liz’ ältere Schwester Michelle ihr zum letzten Geburtstag aus Italien geschickt hatte. Liz konnte bloß hoffen, dass Tattoos und selbst beigebrachte Narben nicht mehr angesagt waren, wenn Coco alt genug für Selbstverstümmelungen war.
    Sie spürte eine Hand auf der Schulter und drehte sich um. Casey. Das gleiche Sommersprossengesicht und die schulterlangen rötlichen Locken wie Juliana. Eingefallene Wangen. Müde Augen. Als Mädchen war sie vermutlich recht hübsch gewesen, aber jetzt wirkte sie vorzeitig gealtert und zu dünn. Entweder ist der Hintern straff oder das Gesicht – beides kann man nicht haben, dachte Liz. Das hatte irgendein Filmstar mal gesagt. Irgendwo hatte sie es gelesen oder gehört und eine verschmierte Kopie des Ausspruchs in dem Mischmasch an Trivialwissen über Berühmtheiten verwahrt, die ihr Hirn mühelos ansammelte, zusammen mit all dem unsinnigen Zeug, das heutzutage als Wissen galt, aus Zeitschriften oder Ähnlichem. Doch es stimmte, das mit dem Hintern oder dem Gesicht.
    »Ich sehe, du hast deine Taschen schon mitgebracht … Bitte sag niemandem, Liz …«
    »Schon gut«, erwiderte Liz auf Caseys gequälte Miene. »Ich sag einfach, wir fahren übers Wochenende weg.« Als ob jemand fragen würde. Die waren doch alle ständig unterwegs zu ihren Wochenendhäusern. Vor der Schule verstopften Limousinen mit Zielort Teterboro Airport die Straße, Geländewagen mit Nummernschildern aus Connecticut reihten sich am Straßenrand auf. Hier würde niemand Liz’ Gepäck bemerken.
    »Du siehst aus wie ein Teenager«, meinte Casey mit einem anerkennenden Blick auf Liz’ Jeans und Bluse, die Clogs mit Plateausohlen, in denen sie durch den Park hergelaufen war, ihren locker geschlungenen Haarknoten. »Von hinten könnte man dich glatt mit einem Teenager verwechseln.« Und dann: »Ist das nicht Coco B., die da schon wieder von Mrs Livingston zusammengestaucht wird?«
    Liz wusste, dass es natürlich Coco B. war. Sie brauchte sich gar nicht erst umzudrehen.
    »Oh nein«, sagte sie und tat … ängstlich? Überrascht? Enttäuscht? Was immer eine richtige Mutter eben zu fühlen hatte, abgesehen von Resignation und ein bisschen aufgekratzter Aufsässigkeit. In Wahrheit war es so, dass Mrs Livingston in ihren fleischfarbenen Strümpfen und den flachen Tretern sträfliches Verhalten geradezu provozierte. Jedes Mal, wenn sie von ihr in die Schule gebeten wurde, verspürte Liz den Drang, sich auf der Damentoilette erst mal eine Zigarette anzustecken. Vor der letzten Elternsprechstunde hatte sie im Central Park sogar ein bisschen gekifft. Nachdem das Treffen vorbei war, hatte Richard sie ganz schön zur Schnecke gemacht und gemeint, er sei vermutlich nicht der Einzige gewesen, dem ihre roten Augenränder aufgefallen waren.
    Da die eine Hälfte der Mütter ständig unter dem Einfluss von Beruhigungspillen stand und die andere unfähig war, die Stirnpartie zu bewegen, wirkten sie selbst bei Gefühlsregungen wie Zombies. Liz hatte Richard versichert, dass Mrs Livingston an völlig weggetretene Mütter bestimmt gewöhnt sei. Sie, Liz, sei auch nicht besser und nicht schlechter als die meisten von ihnen – und darin bestand das Geheimnis des Lebens, ihres Lebens. Dies war der Schluss, zu dem Liz kurzerhand gekommen war, als sie immer noch bekifft war: Sie war weder besser noch schlechter als die meisten. Bei denjenigen mit den festzementierten Stirnpartien gab es immer ein kleines Hautfitzelchen neben dem Haaransatz, das der Hautarzt vergessen hatte mit Botox zu straffen und das sich, wenn die Mütter sich über etwas ereiferten, aufrollte wie eine
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