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Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Titel: Die Zerbrechlichkeit des Gluecks
Autoren: Helen Schulman
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getroffen, und Liz mochte Juliana, die immer artig Bitte und Danke sagte und wie Coco auch mal selbstständig spielen konnte. Einige von den Kindern, die Coco mit nach Hause brachte, mussten immer angeleitet werden. Beim Malen oder beim Plätzchenbacken, ja selbst vor der Xbox brauchten sie ständig Aufsicht. Manchmal, wenn Liz erschöpft war oder keine Lust mehr hatte, ihnen ihre Spielaktivitäten vorzuschreiben, schob sie kurzerhand ein Video ein, machte sich eine Dose Bier auf und schaute zu, wie die Mädchen allein zurechtkamen.
    Liz kannte bloß noch eine andere kleine Teilnehmerin an der Übernachtungsparty: Clementine, ein zartgliedriges, stilles, in sich gekehrtes Wesen, gehüllt in einen Mantel von langem dunklem Haar. Die Art von Mädchen, das später einmal Dichterin werden würde oder in der Mittagspause im Schulhof ganz für sich allein Gitarre spielte, während ein gewisser Typus von empfindsamem Knaben sie sehnsüchtig betrachtete. Einer ein bisschen wie Jake, sinnierte Liz.
    Clementine war ein Kind, wie Liz selbst es sich zur besten Freundin erwählt hätte. Geheimnisvoll und fast unnahbar, verteilte sie sparsam die süße Genugtuung, zu ihr durchzudringen, die Freude, erwählt zu werden, gesalbt zu sein. Für Coco, die Partylöwin, war Clementine nicht die Richtige. Über all diese Empfindsamkeit würde Coco wie eine Dampfwalze hinwegrollen.
    Die Letzte in der kleinen Gästerunde war Julianas beste Freundin aus dem Kindergarten. »Marsha, ihre Mutter, die wird dir gefallen«, hatte Casey gemeint. »Sie ist sehr bodenständig. Und die Kleine heißt Kathy.«
    Obwohl Liz mit Deep Throat Marjorie am Telefon über die Party gelästert hatte – so ein Luxus! Und was das kostet! –, freute sie sich eigentlich auf den Abend. Die letzten paar Monate waren nicht leicht gewesen. Für neue Freundschaften fühlte Liz sich zu alt und zu »eigen«, und mit Ausnahme von Marjorie hatte sie ja eigentlich auch keine gefunden. Richard hatte recht, wenn er sich Sorgen machte. So war es eben in diesen mittleren Lebensjahren. Während Highschool und Studium hatte man lockere Freundschaften unterhalten. Dann kamen Arbeitskollegen und Cocktailpartys. Babys zu haben bedeutete, dass man wieder locker miteinander herumhing, lange Tage auf dem Spielplatz, Pizzaabende im Park am See verbrachte. Jetzt aber war Liz eine Astronautin, die ganz allein in ihrer kleinen Raumkapsel reiste, was ja manchmal eher besser war, allerdings auch recht einsam. Es gab wohl ein paar Leute in New York, die sie kontaktieren sollte – zwei alte Kommilitonen etwa, mit denen sie in Washington eng befreundet gewesen waren, als Richard mit der Frau zusammen bei der Weltbank gearbeitet hatte. Komischerweise verspürte Liz aber überhaupt keine Lust dazu. Inzwischen ging alles per E-Mail vonstatten, was sie manchmal regelrecht lähmte, wenn sie zum Telefonhörer greifen wollte. Trotzdem hatte sie sich bei vielen Leuten noch nicht wieder schriftlich gemeldet. Es gab gleichzeitig viel zu viel aufzuholen und viel zu wenig zu erzählen, fürchtete sie. Liz’ beste Freundin Stacey wohnte in Marin County in der Nähe von San Francisco, im Lauf der Jahre hatte sich ihre Beziehung aber von stundenlangen Telefonaten auf knappe, abrupte E-Mail-Ausbrüche reduziert. Manchmal vergingen ein oder zwei Wochen dazwischen, obwohl es ab und zu auch tägliche Salven durch den Cyberspace gab, zwei oder drei innerhalb von Minuten, als würden sie sich so auf echte, wahrhaftige Gespräche einlassen. In letzter Zeit hatte Stacey angefangen, ihre verflossenen Liebhaber zu googeln und die Ergebnisse an Liz zu übermitteln – ein regelrechtes Sperrfeuer von inzwischen glatzköpfigen, fettleibigen Mund- und Rachenchirurgen. Liz mailte umgehend zurück: »Dem bist du ja gerade noch mal entkommen!« und »Zähl mal, wie viele Doppelkinne der da hat!« Eine E-Mail hatte auch ihre Vorteile: Grausames ließ sich mit einem kurzen Doppelklick wieder wegwischen, aus den Augen, aus dem Sinn.
    In der letzten Serie von Mails hatte Stacey ihre Taktik geändert und sich aufs Googeln der Verflossenen von Liz verlegt – vielleicht deshalb, weil sie ihre eigenen schließlich durchhatte. Einer, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter, der einst das Seminar »Schreiben aus eigener Erfahrung« geleitet hatte, erwies sich als wahre Fundgrube. Daniel Feigenbaum. Mit ihm hatte Liz im ersten Studienjahr eine kurze, unglückliche Affäre gehabt. Der Typ führte einen Blog, ein Internet-Tagebuch, und Stacey
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