Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Titel: Die Zerbrechlichkeit des Gluecks
Autoren: Helen Schulman
Vom Netzwerk:
Markise.
    Nun hatte Mrs Livingston also ihre dick geäderte Hand fest an Cocos Kinn und zwang sie, ihren starren Blick zu erwidern. »Sieh mir in die Augen«, war einer von Mrs Livingstons erzieherischen Lieblingssprüchen, einer überzeugten Verfechterin des pädiatrischen Hypnotismus.
    »Oje«, sagte Liz, eine Spur zu halbherzig und so lahm, dass es ihr einen skeptischen Blick eintrug.
    »Wir treffen uns dann später im Hotel«, sagte Casey mit ungerührter Neugier. »Wir müssen erst noch nach Hause, unsere Taschen holen.«
    »Klingt gut«, erwiderte Liz und schob sich durch die Menschenmenge auf ihre Tochter zu. »Wir freuen uns total drauf!« Der höfliche Nachsatz über die Schulter hinweg war aber ganz klar das Falsche gewesen, denn Casey quittierte ihn mit einem von purem Hass erfüllten Blick.
    Liz kämpfte sich durch die diversen Cliquen auf Coco zu, während die großen Kinder sich wartend vor dem Mister-Softee-Eiscreme-Wagen aufreihten und Mütter ihre Sprösslinge und deren Spielkameraden an dem ausdruckslos dreinguckenden mexikanischen Luftballonverkäufer vorbeizulotsen versuchten, bei dem Liz nie, nicht ein einziges Mal, jemand etwas hatte kaufen sehen. Hier war sie nun also, die besorgte Liz! – inzwischen nur noch darauf bedacht, zu ihrer kleinen Missetäterin zu gelangen. Durch die Menge hindurch konnte sie ausmachen, dass Mrs Livingston Coco in einem tödlichen Lehrerinnengriff bei den Schultern gepackt hielt. Also schob sie sich weiter durch die einander umarmenden, sich gegenseitig beschimpfenden und umherscheuchenden, Softeis kaufenden Massen. Vorbei an Jungs auf Scootern und in ihren Heeleys skatenden Mädchen umsteuerte sie das eines Fellini-Films würdige Treiben und schaffte es sogar, ein paar Leuten freundlich zuzunicken: dem Vater im Geschäftsanzug, der sich hier nur selten blicken ließ (fest entschlossen zum Frühstart »aufs Land«), und den beschwichtigenden, zeternden Kindermädchen, die mit Donuts in der ausgestreckten Hand ihre Miniatur-Zirkusponys nach Hause lockten. Wie ein selbstmörderischer Lachs schwamm Liz unbeirrbar weiter stromaufwärts, um ihre Tochter einzufordern.
    Als sie schließlich im Hotel ankamen – eine leidlich geläuterte Coco und ihre gründlich gegeißelte Aufpasserin –, dauerte es einen Augenblick, bis sie die drei kleinen Mädchen und deren Mütter in dem pinkrosa Palmwedelgarten hinter der Harfenistin versteckt erspäht hatten. Die Mädchen balancierten kniend auf den Barocksesseln und leckten mit dem Daumen die Schlagsahne von ihren Tellern, während am Nachbartisch ihre Mütter an den Überresten ihrer Teatime-Sandwiches herumpickten. Über ihnen reckten sich Palmen wie langstielige Sonnenschirme mit langen Giraffenhälsen und spärlich gespreiztem Blattwerk in die Höhe. Im ganzen Raum verteilt standen kleine rosa Azaleen in Marmortöpfen, was allen Anwesenden ein jugendlich rosiges Glühen verlieh, selbst dem Grüppchen würdevoller älterer Damen aus der Park Avenue und auch einem ziemlich großen Haufen nicht mehr ganz so junger, ausgelassener Frauen, alle in roten Hüten und violetten Kleidern. Am Mädchentisch präsentierte sich Juliana mit mehrreihiger bunter Glasperlenkette und Federboa. Clementine, die zukünftige Dichterin, betrachtete verträumt die Harfenistin, und ein kleiner Blondschopf, von dem Liz annahm, dass es sich um Kathy handelte, wühlte in einem Haufen Flitter und Federn. Nach einem knappen Blick auf die fette Beute sauste Coco pfeilgerade darauf zu, die Linke bereits nach den Schätzen ausgestreckt.
    Am Erwachsenentisch, direkt unter einem riesigen glitzernden Kronleuchter, hatte Casey sich zu Sydney hingeneigt, Clementines Mutter, einer groß gewachsenen, kantigen Frau mit abgemagerten Zügen. Mit dem kurz geschnittenen, dunklen Haar und den weit auseinanderstehenden Augen sah sie aus wie eine reinrassige Siamkatze, rank und schlank in ihren schwarzen Kaschmirleggings und dem federleichten Pullover. Die Frau, bei der es sich um Marsha, Liz’ neue beste Freundin, handeln musste, saß auf der anderen Seite von Casey und schmierte sich gerade Schlagrahm und Marmelade auf den Rest von einem Scone. Sie trug ihr schulterlanges braunes Haar mit Mittelscheitel und Großraumjeans – und war schon dabei, sich allmählich gehen zu lassen. Wieso überraschte das Liz? Casey hatte sie als »bodenständig« beschrieben. Elternsein brachte die verschiedensten Leute zusammen – zu keinem anderen Zeitpunkt im Leben hätten diese vier
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher