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Die Zeitfalte

Die Zeitfalte

Titel: Die Zeitfalte
Autoren: Madeleine L'Engle
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verrät«, erwiderte Charles.
    »Wie ist das bei den Zwillingen?« wollte Meg wissen. »Weißt du über sie auch so gut Bescheid?«
    »Ich glaube, ich würde es schaffen. Wenn ich wollte. Wenn sie mich wirklich brauchen würden. Aber die ganze Sache ist ja doch ziemlich anstrengend, und deshalb konzentriere ich mich lieber auf dich und Mutter.«
    »Willst du damit sagen, daß du unsere Gedanken lesen kannst?«
    Die Frage machte Charles Wallace seltsam betroffen. »Ich glaube nicht, daß es das ist. Vielmehr … Es ist so, als würde ich eine … eine heimliche Sprache verstehen. Wenn ich mich zum Beispiel sehr stark konzentriere, kann ich manchmal hören, was der Wind zu den Bäumen sagt. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Auch du sprichst sozusagen aus dem Unterbewußtsein zu mir – ja, das ist ein gutes Wort dafür. Ich habe Mutter heute früh gebeten, mir vorzulesen, was im Lexikon darüber steht. Ich sollte wirklich endlich lesen lernen; andererseits: ich fürchte, dann habe ich es nächstes Jahr in der Schule doppelt schwer. Wahrscheinlich ist es besser, wenn die Leute so lange wie möglich glauben, daß ich etwas zurückgeblieben bin. Dann lehnen sie mich nicht so sehr ab.«
    Fortinbras, der vorausgeeilt war, schlug plötzlich an. Den Laut kannte sie. So bellte er nur, wenn ein Auto die Straße heraufkam oder sich jemand dem Haus näherte.
    »Wir sind nicht allein!« stellte Charles Wallace fest. »Da treibt sich jemand beim Spukhaus herum. Komm, beeil dich!«
    Er begann zu laufen. Seine kurzen Beine flogen.
    Fortinbras hatte am Waldrand einen Jungen gestellt und verbellte ihn wütend.
    Als Charles und Meg keuchend näherkamen, rief der Junge ihnen zu: »Verdammt nochmal, haltet mir endlich diesen Köter vom Leib!«
    »Kennst du den?« fragte Charles Wallace.
    »Ja«, sagte Meg. »Das ist Calvin O‘Keefe. Er geht in meine Schule. Er ist ein großes As.«
    »Schon gut, du Mistvieh, ich tu ihnen ja nichts!« redete der Junge auf den Hund ein.
    »Platz, Fortinbras!« befahl Charles Wallace, und Fort hockte sich knurrend auf die Hinterbeine, ohne den Jungen aus den Augen zu lassen.
    »Also.« Charles Wallace stemmte die Arme in die Hüften. »Willst du uns nicht vielleicht verraten, was du hier zu suchen hast?«
    »Dasselbe könnte ich euch fragen«, gab der Junge schroff zurück. »He, ihr seid doch zwei von den Murrys, was? Gehört der Wald etwa euch?« Er wollte einen Schritt näherkommen, aber sofort begann Fortinbras lauter zu knurren, und da ließ er es lieber bleiben.
    »Sag mir, was du von ihm weißt, Meg!« forderte Charles Wallace sie auf.
    »Von Calvin?« Meg zuckte mit den Schultern. »Nicht viel. Er ist ein paar Klassen über mir, und er spielt Basketball in unserer Schulmannschaft.«
    »Ja, aber nur weil ich so groß bin.« Calvin sagte das beinahe verlegen. Groß war er allerdings. Sehr groß und sehr mager. Seine knochigen Handgelenke kamen aus den Ärmeln seines blauen Pullovers hervor; auch seine abgetragenen Kordhosen waren eine gute Handbreit zu kurz. Seine rotblonde Mähne hätte längst einen Haarschnitt vertragen, paßte in der Farbe aber gut zu den Sommersprossen. Seine Augen waren blau und ungewöhnlich hell.
    »Jetzt sag endlich, was du hier zu suchen hast!«
    »Was soll das? Ist das ein Verhör? Sag einmal, bist du nicht der Knirps mit dem Dachschaden?«
    Meg schoß das Blut in die Wangen, aber Charles Wallace blieb gelassen.
    »Ganz recht«, sagte er. »Und wenn du nicht gleich meine Frage beantwortest, hetz ich dir den Hund an den Hals.«
    »Du hast wirklich einen Dachschaden!« sagte Calvin, rückte dann aber doch mit der Sprache heraus. »Ich bin für eine Weile abgehauen, weil mich meine Familie anstinkt.«
    Charles Wallace nickte. »Was stört dich an deiner Familie?«
    »Nichts als Rotznasen. Elf Stück. Ich bin der Drittälteste. Lauter Idioten. Außer mir. Ich bin das einzige Genie in der Familie.«
    Charles Wallace grinste von einem Ohr zum anderen. »Ich auch.«
    »In Basketball bin ich zwar eher eine Niete … «, sagte Calvin.
    »Ich auch.«
    »Aber dafür bin ich ziemlich gut in Biologie.«
    »Genmutation«, dozierte Charles Wallace. »Eine Änderung, die auf der Wandlung einer Erbanlage beruht. Der Phänotypus eines Lebewesens wird dabei latent von den elterlichen Chromosomen auf jene der Nachkommen übertragen.«
    »He, was soll das?« fragte Calvin. »Es heißt doch, daß du kaum reden kannst.«
    »Es beruhigt die Leute, mich für einen Idioten zu halten«,
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