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Die Zeitfalte

Die Zeitfalte

Titel: Die Zeitfalte
Autoren: Madeleine L'Engle
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Strähnen vom Kopf abstand, und seufzte so laut, daß sie sogar den Wind übertönte.
    Der Holzboden unter ihren nackten Füßen war kalt. Durch die Fensterritzen blies der Wind, obwohl ihn das Sturmfenster doch eigentlich abhalten sollte. Im Rauchfang heulte es.
    Bis unters Dach herauf hörte Meg jetzt Fortinbras bellen, den großen schwarzen Hund. Er schien sich ebenfalls zu fürchten. Was er wohl entdeckt hatte? Fortinbras bellte nie ohne Grund.
    Plötzlich fiel ihr wieder ein, was sie heute auf dem Postamt aufgeschnappt hatte. Da war von einem Landstreicher die Rede gewesen; der hatte angeblich Frau Buncombe zwölf Bettücher von der Leine gestohlen. Man hatte ihn noch nicht geschnappt, und womöglich war er jetzt auf dem Weg zu Megs Haus, das ziemlich abgelegen außerhalb der Stadt lag; und diesmal hatte er es bestimmt nicht nur auf Bettücher abgesehen …
    Meg hatte kaum hingehört, als von dem Landstreicher gesprochen wurde, denn das Postfräulein hatte sie da gerade mit zuckersüßem Lächeln gefragt, ob sie denn nichts Neues von ihrem Vater wisse.
    Meg verließ das Zimmer und tastete sich durch den dunklen Flur. Dabei knallte sie gegen den Ping-Pong-Tisch. »Ein blauer Fleck mehr; das hat mir gerade noch gefehlt!« ärgerte sie sich.
    Dann stieß sie sich an ihrem alten Puppenhaus, stolperte über das Schaukelpferd von Charles Wallace und stieg auf die Spielzeugeisenbahn der Zwillinge. »Bleibt mir denn nichts erspart?« herrschte sie den großen Teddybären an.
    An der Treppe blieb sie stehen und lauschte. Nicht ein Laut kam aus dem Zimmer von Charles Wallace, das zur Rechten lag. Auch gegenüber, im Schlafzimmer der Eltern, in dem Mutter jetzt allein in dem großen Doppelbett schlief, war alles still.
    Auf Zehenspitzen ging Meg durch den Flur und schlich in das Zimmer der Zwillinge. Dabei rückte sie erneut ihre Brille zurecht, als könne sie dadurch in der Dunkelheit besser sehen.
    Dennys schnarchte. Sandy murmelte etwas im Schlaf. Die Zwillinge hatten ein sorgloses Leben. Sie lernten nicht ausgesprochen gut, waren aber auch nicht gerade schlecht in der Schule. Meist brachten sie eine Zwei nach Hause und waren damit durchaus zufrieden; gelegentlich gab es sogar eine Eins, und dann eben wieder eine Drei. Beide Jungen waren kräftig gebaut und ausdauernde Läufer, überhaupt gute Sportler. Als einzige in der Familie blieben Sandy und Dennys auch von den spöttischen Bemerkungen der Leute verschont.
    Meg verließ das Zimmer der Zwillinge wieder und huschte die Treppe hinunter. Dabei achtete sie darauf, nicht auf die siebente Stufe zu treten, denn die quietschte.
    Fortinbras hatte aufgehört zu bellen. Der Landstreicher war also nicht draußen. Fort schlug immer an, wenn sich jemand dem Haus näherte.
    Aber wenn der Landstreicher doch auftauchte? Wenn er ein Messer hatte? Die Nachbarn wohnten weit weg. Keiner würde Meg schreien hören. Ach was, es kümmerte sich ohnedies keiner um die Murrys.
    »Ich mache mir eine Tasse Kakao!« beschloß sie. »Das hilft gegen dumme Gedanken – und wenn der Wind tatsächlich das Dach abhebt, kann mir hier unten nichts passieren.«
    In der Küche brannte Licht. Charles Wallace saß am Tisch, trank ein Glas Milch und aß ein Marmeladebrot. Ganz klein und verloren hockte er allein in der großen, altmodischen Küche, ein kleiner blonder Junge in einem ausgewaschenen Pyjama, und ließ die Füße baumeln.
    »Hallo!« sagte er fröhlich. »Ich habe auf dich gewartet.«
    Fortinbras lag unter dem Tisch und wartete vergeblich darauf, daß Charles Wallace ihm ein paar Bissen abgab. Er hob zur Begrüßung den schmalen schwarzen Kopf und klopfte mit dem Schwanz auf den Boden.
    Eines Nachts hatte Fortinbras plötzlich vor der Türschwelle gestanden, mitten im Winter, ein ausgesetzter, bis auf die Knochen abgemagerter junger Hund. Vater sagte, er sei eine Mischung aus einem Setter und einem Windhund und ein ungewöhnlich schönes Tier.
    »Warum bist du nicht zu mir hinaufgekommen?« fragte Meg ihren Bruder. Sie sprach mit ihm stets wie mit einem zumindest Gleichaltrigen. »Ich habe mich schrecklich gefürchtet.«
    »Dort droben ist es mir zu windig«, sagte er. »Außerdem wußte ich doch, daß du hier auftauchen würdest. Ich habe für dich etwas Milch auf den Herd gestellt. Sie ist bestimmt schon heiß.«
    Wieso wußte Charles Wallace immer über sie Bescheid? Wieso kannte er sich immer so gut bei ihr aus? Um Dennys und Sandy schien er sich nie besonders zu kümmern; aber es war
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