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Die Zeitfalte

Die Zeitfalte

Titel: Die Zeitfalte
Autoren: Madeleine L'Engle
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Schätzchen!« kam eine dumpfe Stimme hinter dem hochgeschlagenen Mantelkragen und den zahllosen Tuchwindungen hervor. »Kein Grund zur Sorge!« Die Stimme klang wie eine quietschende Türangel, aber nicht unangenehm.
    »Frau – hm, Frau Wasdenn sagt, sie – hm, sie hat sich verlaufen«, erklärte Mutter. »Möchten Sie vielleicht eine Tasse Kakao, Frau Wasdenn?«
    »Das wäre reizend!« erwiderte Frau Wasdenn, nahm den Hut ab und wand sich aus der Stola. »Ich habe mich nicht so sehr verlaufen als vielmehr verflogen. Will sagen: Ich bin ein wenig vom Kurs abgekommen. Und als ich sah, daß ich beim Haus von Charles Wallace gelandet war, dachte ich mir, ich könnte kurz hereinkommen und mich erholen, ehe ich mich wieder auf die Sprünge mache.«
    »Woher wissen Sie, daß Charles Wallace hier wohnt?« fragte Meg.
    »Das habe ich gerochen«, erklärte Frau Wasdenn. Sie wickelte sich aus einem blau und grün gemusterten Tuch, dann aus einem rot und gelb geblümten, dann aus einem golddurchwirkten und zuletzt aus einem schwarzen Umhang mit roten Tupfen. Darunter kam ein spärlicher grauer Haarschopf zum Vorschein, der auf dem Kopf zu einem sauberen Knoten gebunden war. Frau Wasdenn hatte wasserhelle Augen, eine kugelrunde Stupsnase und einen Mund, der runzelig war wie ein überreifer Apfel. »Hübsch habt ihr es hier!« stellte sie wohlig fest. »Und so schön warm!«
    »Wollen Sie nicht Platz nehmen?« Frau Murry bot ihr einen Stuhl an. »Und hätten Sie gern ein Sandwich? Meins war mit Leberwurst und Rahmkäse, Charles wollte lieber ein Marmeladebrot, und Meg hat leider schon die letzte Tomate gegessen.«
    »Lassen Sie mich überlegen!« Frau Wasdenn dachte angestrengt nach. »Also, ich habe eine Schwäche für russischen Kaviar!«
    »Sie haben spioniert!« rief Charles entrüstet. »Der Kaviar ist für Mutters Geburtstag reserviert; den können Sie nicht haben!«
    Frau Wasdenn stieß einen tiefen Seufzer des Bedauerns aus.
    »Nein!« beschwor Charles seine Mutter. »Du willst schon wieder nachgeben. Tu‘s nicht, sonst machst du mich böse. – Wie wäre es statt dessen mit Thunfischsalat?«
    »Hm, auch gut«, sagte Frau Wasdenn ergeben.
    »Ich mache ihn!« rief Meg und ging in die Speisekammer, um die Büchse zu holen.
    »Es ist zum Schreien!« dachte sie. »Da kommt dieses Frauenzimmer bei Nacht und Nebel hereingeschneit, und Mutter tut ganz so, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt. Dabei könnte ich wetten, daß dieses Weib der Landstreicher ist, von dem alle geredet haben. Keine Frage, sie hat die Bettücher gestohlen! Und sie ist jedenfalls kein Umgang für Charles Wallace; noch dazu, wenn man bedenkt, daß er sich sonst von fremden Leuten fernhält.«
    Als Meg das Licht in der Speisekammer ausknipste und mit der Thunfischbüchse in die Küche zurückkam, sagte Frau Wasdenn eben: »Ich wohne noch nicht lange hier, und ich fürchtete schon, lauter unmögliche Nachbarn zu haben – da kam plötzlich dieser reizende Junge mit seinem Hund vorbei!«
    »Frau Wasdenn!« unterbrach Charles Wallace sie ungehalten. »Warum ließen Sie Frau Buncombes Bettücher mitgehen?«
    »Tja, mein Schätzchen, weil ich sie gebraucht habe.«
    »Sie müssen sie sofort zurückgeben!«
    »Unmöglich, Charles! Ich habe sie bereits benutzt.«
    »Das gehört sich einfach nicht!« schalt Charles Wallace. »Wenn Sie schon Bettücher benötigen, hätten Sie zu mir kommen sollen.«
    Frau Wasdenn schüttelte den Kopf und kicherte. »Ihr habt keine übrig. Frau Buncombe schon.«
    Meg schnitt etwas Sellerie und mischte sie unter den Thunfisch. Sie zögerte, ging aber dann doch zum Kühlschrank und nahm den Topf mit den eingemachten Früchten heraus. »Ich weiß gar nicht, warum ich mir für diese Alte so viel Mühe gebe«, sagte sie sich dabei. »Ich traue ihr überhaupt nicht über den Weg.«
    »Sag deiner Schwester, daß sie mir ruhig vertrauen kann!« bat Frau Wasdenn Charles. »Sag ihr, daß ich mich immer nur von guten Vorsätzen leiten lasse.«
    »Auch der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert!« erklärte Charles unbestimmt.
    »Ist dieser Junge nicht gerissen?« Frau Wasdenn strahlte ihn voll Wohlwollen an. »Wie gut, daß er jemanden hat, der seine dunklen Andeutungen versteht.«
    »Ich fürchte, da überschätzen Sie uns«, sagte Frau Murry. »Keiner von uns ist ihm wirklich gewachsen.«
    »Immerhin versuchen Sie nicht, ihn zu unterdrücken.« Frau Wasdenn nickte nachdrücklich. »Sie akzeptieren ihn so, wie
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