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Die Zeit-Moleküle

Die Zeit-Moleküle

Titel: Die Zeit-Moleküle
Autoren: D.G. Compton
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sehr lange gebraucht, um zu uns zurückzufinden. Die meisten von uns haben Sie längst abgeschrieben. Ich sollte Ihnen deshalb zuerst einmal gratulieren, daß Sie gesund hier eingetroffen sind.« Die Worte waren bedeutungslos, doch der Ton war verletzend. Roses sagte nichts vor dieser eingeimpften Überlegenheit. Karl sprach jetzt zu seiner Mutter, obwohl er seine Augen von Roses nicht abwendete. »Ich habe mich oft gefragt, ob du nicht etwas übertrieben hast, Mutter. Ich meine, in den Beiträgen, die du zu dem Buch geliefert hast. Doch jetzt sehe ich, daß deine Beschreibung haargenau zutrifft.«
    Er schlug Roses ins Gesicht, eine kaltblütige Geste, die die Möglichkeit einer Vergeltung absolut ausschloß. Roses ballte die Fäuste, aber er wehrte sich nicht. Hierzu gab es keinen Präzedenzfall, keinen Anknüpfungspunkt. Er tat nichts.
    »Das war dafür, was du meiner Mutter angetan hast. Allerdings nur der Anfang. Ein kleiner Anfang.«
    »Das reicht, Karl!«
    »Aber ich habe doch das Buch gelesen. Willst du ihn wirklich straflos ausgehen lassen?«
    »Ich sagte, es genügt, Karl. Widersprich mir nicht.«
    Sie dachte nicht über den Grund nach, warum sie ihm befohlen hatte, die Prügelei zu unterlassen. Er hatte in ihrer Gegenwart schon Männer bewußtlos geschlagen. Männer aus dem Ausland, die besser und weiser waren als Roses. Männer, die man formen mußte wie Roses hier. Sie dachte sofort an ihren Sohn und wartete darauf – wie sie immer darauf wartete –, daß er sich auflehnen sollte. Widersprich mir, bitte, widersprich mir. Sie hatte ihn zum Mann erzogen. Als Herrscherin hatte sie ihn zum Herrschen erzogen. Und trotzdem war er noch mit sechsundfünfzig ihr Speichellecker.
    War das nicht vorauszusehen gewesen, nicht zu erwarten von dem Sohn eines Tattergreises, den sie für unfruchtbar gehalten hatte? War das nicht zu erwarten von dem Kind einer greisenhaften Lust. Solange Karl lebte, hatte sie dieser Gedanke bedrückt und hatte sie sich gegen diesen Gedanken aufgelehnt. Er war ihr Sohn. Wenn er nicht das war, was er sein sollte, war das auch ihr Fehler.
    »Entschuldigung, Mutter. Ich werde es nicht wieder tun.« Er wischte sich die Hände an der Hose ab und setzte sich auf eine gepolsterte Bank. »Was wirst du jetzt mit ihm anfangen?«
    »Mit ihm anfangen? Er ist wertlos.« Sie hatte eine Eingebung. »Wir werden ihn als Spion aufhängen.«
    War er schon immer wertlos gewesen? Auch an dem Tag, als sie den unverhältnismäßig großen Sicherheitsfaktor eingebaut hatte, während sie seinen Wiedereintritt in die irdische Zeit programmierte? Wenn er wertlos gewesen war – warum dann dieser enorme Sicherheitsfaktor, der ihn siebenundfünfzig Jahre nach der geplanten Wiedererscheinung in das Universum zurückbrachte? Was mit der Zeit am meisten verblaßte waren die Motive, die einen früher beherrscht hatten.
    »Wir werden ihm den Prozeß machen, Karl. Er kann ja nur aus den ausländischen Provinzen stammen. Du brauchst ihn doch nur anzusehen. Zuerst ein Prozeß hier in der Hauptstadt und dann eine öffentliche Hinrichtung. Das Volk wird das von uns verlangen.«
    »Großartig. Man wird keinen Zeugen finden, der etwas zu seiner Verteidigung sagen kann. Brillant … Und die Wächter in der Stadt, die bereits wissen, daß er einer von den Zeitreisenden ist?«
    »Wie viele wissen es schon. Höchstens drei. Sie sind nicht mehr tragbar.«
    »Ich werde mich sofort darum kümmern.« Er stand auf und streckte sich gähnend. »Ein Exempel, das statuiert wird. Genau das brauchen wir jetzt. Ein paar von den äußeren Provinzen zeigen schon offen, daß sie uns nicht mehr so lieben wie früher.«
    »Nein, Karl, ich werde gehen. Du mußt auf ihn aufpassen, falls er zu toben anfängt. Gib mir eine halbe Stunde Zeit um die Sache mit den Wächtern zu erledigen. Dann schlägst du Alarm. Du behauptest, du hast ihn vor dem Gefängnis entdeckt und er sei dann hierher geflüchtet.« Sie ging zur Tür. »Und denke daran, daß er sich benimmt wie ein wildes Tier. Das leiseste Zeichen von Schwäche und Furcht, und er reagiert mit Gewalttätigkeit.«
    Sie sah sich noch einmal nach Roses um. Er starrte auf den Boden hörte nicht zu, sah vielleicht die Fliesen, die von den Füßen Hunderttausender von Besuchern abgewetzt waren. Das war einmal ihr Platz gewesen, der Bereich ihres Ehrgeizes. So wie er ein paar Tage lang das Ziel ihrer Wünsche gewesen war. Doch jetzt war er ein Tier, und sie würde nie mehr mit ihm allein sein. Sie würde ihn
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