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Die Zeit-Moleküle

Die Zeit-Moleküle

Titel: Die Zeit-Moleküle
Autoren: D.G. Compton
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nur noch einmal im Gerichtssaal sehen und zum letztenmal auf der Gerichtsstätte. Sie mußte sich von ihm befreien, wie sie sich schon vor vielen Jahren von dem Mädchen befreit hatte, das sie jetzt neben ihm stehen sah. Er war es gewesen, der sie die Gewalttätigkeit gelehrt hatte. Daß er wie ein Tier enden würde, war gerecht und angenehm zugleich.
    »Kannst du dir vorstellen«, sagte sie, als sie durch die Tür ging, »daß ich einmal in das dort verliebt war?«
    Karl wartete, bis ihre Schritte verhallt waren, und setzte sich dann wieder. Er nickte Roses zu, sich neben ihn zu setzen. Doch der bewegte sich nicht.
    »Sie hat zu lange unter diesem Dach gelebt«, sagte Karl. »Sie glaubt, wir durchschauen sie nicht. Als ob unsere Psychiatrie auf dem Stand von 1988 stehengeblieben wäre. Du magst vielleicht nicht sehr hell sein, Varco, aber ganz bestimmt bist du kein Tier. Obgleich es für sie vielleicht notwendig ist, daß sie dich dafür hält.«
    Roses bewegte die Arme, spürte, wie die Spannung nachließ. Er machte sogar ein paar Schritte. Lizas Sohn, der Mann, der ihn geohrfeigt hatte, wollte sein Freund sein. Er hatte ihn Lizas wegen (aber weshalb?) geschlagen.
    »Weißt du überhaupt, daß sie schon dreiundachtzig Jahre alt ist?« fragte Karl. »Dreiundachtzig … Sie sieht natürlich nicht alt aus. In diesem Punkt hat sich das chronomische Pufferverfahren meines Vaters tatsächlich bewährt. Es ist die Gegenwart, die unserer Aufmerksamkeit und Kraft bedarf – nicht irgendeine Zukunft, in die wir uns flüchten wollen. Selbst nachdem das Dorf längst aufgelöst war, kam sie immer wieder hierher und schwitzte über ihrer kostbaren peripherischen Technik. Sie brauchte Jahre dazu, bis sie erkannte, daß hier ihre große Chance lag, in dem einzigen noch ausreichend ausgerüsteten wissenschaftlichen Gebäude, das in diesem Teil der Erde existierte. Ich war bereits sechzehn, als man ernsthaft damit begann, Leute hier anzusiedeln. Sie paßte sich nur langsam der neuen Lage an. Und jetzt, da sie alt ist, fällt ihr das noch schwerer.« Er blickte zu Roses hinüber und lachte. »Verstehst du überhaupt, was ich sage?«
    »Du sagst, Miß Liza wäre schon sehr alt. Eine Menge Unsinn. Sie ist nicht älter als …«
    »Ich will, daß du dich rettest, Varco.«
    »Rettest? Wovor denn?«
    »Ich denke doch, daß das vollkommen klar ist.«
    Roses blickte sich im Labor um und kletterte dann hinauf auf die hohen, schlanken Bäume. »Flüchten wohin?« fragte er.
    »Das ist allerdings eine kluge Frage.« Karl betrachtete ihn eingehend. »Wenn du zwanzig oder dreißig Meilen von hier fortgehst, triffst du auf Siedlungen, wo die Polizei dich nur sehr schwer finden wird … Aber ich bezweifle, daß du dich dort zurechtfinden wirst.«
    »Ich gehe nirgendwohin, was so weit weg ist. Sie sagte, mein Heim ist weg. Ich kann nicht wo hingehen, wo ich kein Heim habe.«
    »Begreife doch, Varco. Ich will keinen Prozeß haben. Ich habe meine eigenen Pläne. Eine Menge Leute sind darin verwickelt, und ein Prozeß zu diesem Zeitpunkt ist das schlimmste, was mir passieren kann.«
    Roses war vollkommen verwirrt. Als er Liza wiedersah, hatte er geglaubt, alles käme jetzt wieder in Ordnung. Doch sie … sie war nicht mehr dieselbe. Und jetzt sagte dieser Mann, ihr Sohn, er müsse wieder fortgehen.
    »Schleiche nirgendwo hin.« Und dann, um das Thema zu wechseln, deutete er auf die Plaketten. »Was steht denn darauf?«
    »Tut mir leid, Varco, aber dir bleibt gar keine andere Wahl. Vielleicht kann ich dich irgendwo verstecken. Das läßt sich natürlich in so kurzer Zeit nur schwer bewerkstelligen, aber …«
    »Was steht denn auf den vielen Plaketten?«
    »Bist du wirklich so blöd, Mann? Begreifst du denn nicht, daß ich dich vor deinem …« Er brach ab. Eine simple Alternative drängte sich ihm auf, wie er Roses’ Flucht ermöglichen konnte. Ein viel sicherer Weg, den Prozeß zu vermeiden, den er so sehr scheute. »Was auf den Plaketten steht?« Er redete und dachte gleichzeitig über seine Alternative nach. »Es ist eine computerfreundliche Schrift. Wir lehren sie in allen unseren Schulen. Damit ersparen wir uns eine Menge Zeit.«
    »Schrift ist gut. Ich habe das doch in der Schule gelernt. Das ist keine Schrift.«
    »Du wirst das neue Verfahren viel einfacher finden als die alte Schrift.« Er hatte einen Entschluß gefaßt und stand auf. »Varco, ich werde dir jetzt ein paar Pillen bringen.« Mit den Pillen ging es am einfachsten. Er konnte ja
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