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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle
Autoren: Judith Merkle-Riley
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längst tot. Schließlich sind viele Menschen für weit weniger verbrannt worden als für Leuchten, und in gewissen Kreisen erweckt es nun einmal Neid. Zum Glück blickte niemand in meine Richtung. Das Altarglöckchen kündigte die Erhebung der Hostie an, daher waren alle Augen auf den Altar gerichtet.
    Aber als wir uns den Weg nach draußen ins Licht der belebten Gasse neben der Kirche bahnten, rempelte mich ein Mann an; er trug Sporen, und über seinem derben, grobschlächtigen Gesicht prangte ein mit Juwelen geschmückter Biberhut. Sodann verbeugte er sich übertrieben tief. Ich nickte mit eiskalter Miene und ging schnell an ihm vorbei. Woher mögen in Kriegszeiten all die Glücksritter kommen, die sich einbilden, eine Frau, deren Mann in der Fremde ist, suche nichts als nächtliche Kurzweil? Ich hörte seinen Gefährten sagen:
    »Noch kein Glück gehabt, ha?«
    »Die, die anfangs kalt tun, sind immer die wildesten, wenn man sie erst im Bett hat.«
    »Ich hätte lieber eine von den Kleinen. Eine Kendall-Erbin. Die sollen ja ein hübsches Sümmchen…« Doch die Stimmen verloren sich in der Menge. Dreckskerle. Die schrecken nicht einmal vor einer Entführung zurück, Hauptsache, sie bekommen die Mitgift. Ich muß mich selbst vergewissern, daß die Läden des Nachts gut verriegelt sind: Mutter Sarah ist zuweilen so vergeßlich. Höchste Zeit, daß Cecily und Alison ihre eigene Gesellschafterin bekommen. Eine Kinderfrau, die alt und gebrechlich wird, genügt nicht mehr. Irgend jemand muß sie davon abhalten, jeder Flause nachzugeben, die ihnen in den Sinn kommt. Wenn ich sie doch im Haushalt der Herzogin unterbringen könnte… Aber ihr Vater, Master Kendall, war nicht von Adel, vielleicht würde man sie dort schlecht behandeln.
    »Mutter, ich habe den Mann gehört.« Cecilys durchdringendes Stimmchen riß mich aus meinen Gedanken.
    »Ich auch. Nicht bloß Cecily«, sagte Alison. »Und das Wichtigste hat er ausgelassen. Er hat gesagt, wir sind reich, aber er hat nicht gesagt, daß ich hübsch bin.«
    »Und eitel!« fauchte Cecily.
    »Ihr werdet nicht gegen euren Willen verheiratet«, antwortete ich.
    »Ich heirate überhaupt nie«, verkündete Cecily.
    »Dann wirst du ein Drache. Und ich heirate Damien, wenn er als reicher Mann mit Stiefgroßvater aus dem Krieg zurückkommt.«
    »Das tust du nicht«, sagte Cecily und versetzte ihrer Schwester einen Puff mit dem knochigen Ellenbogen.
    »Kinder, Kinder. Seid still. Und du Alison, laß das Kneifen. Alle sehen dich an.« Mit einiger Mühe setzte ich unsere kleine Schar wieder in Bewegung, Mutter Sarah zwischen den beiden Mädchen, die noch immer entrüstet hüpften und sprangen, und Peregrine, den unser Verwalter jetzt huckepack trug. Mit seinem Stummelfinger zeigte der kleine Kerl auf Maultiere und Fußgänger.
    »Guck, Perkyn, da ist ein geflecktes. So eins will ich haben. Ich will ein blau geflecktes und ein grün geflecktes.«
    »Maultiere gibt es in Rötlich-Grau, aber nicht in Blau und Grün«, sagte der alte Mann ernst.
    »Meins wohl. Ce'cy und Alison kriegen auch eins, aber meins kann fliegen.«
    »Das wird ja ein schöner Anblick«, sagte Perkyn.
    Als wir in die Thames Street einbogen, versperrte uns das Hausgesinde des Weinhändlers Sir Robert Haverell den Weg. Die Gruppe kam schwatzend den St. Mary Hill Lane entlang. Auf den Straßen und Gassen scharten sich die Menschen, die im Sonntagsstaat aus allen Kirchen der City von London herausströmten und noch etwas spazierengingen. Kaufleute in der farbenprächtigen Tracht ihrer Zunft, die Ehefrauen mit Goldketten und schönen Hauben geschmückt, schlenderten mit ihren Kindern und ihrer Dienerschaft einher. Boten und Träger in säuberlich gebürstetem Rotbraun mischten sich unter die Fischweiber von Billingsgate, die buntgefärbte und bestickte Surkots über ihren grauen Unterkleidern trugen. Hier und da ließ sich sogar ein Ritter mit Sporen an den Hacken und mit von Stickereien strotzendem Surkot blicken, einer von denen, die zu alt oder zu lahm für den neuesten Feldzug im Ausland waren. Und über allem riefen die Glocken der City von Turm zu Turm, von St. Martin-le-Grand zu St. Mary's, zu St. Margaret's, St. James'-in-the-Wall und zu St. Dunstan's. Und unter das ganze Gebimmel mischte sich das dröhnende, tiefe Läuten der großen Glocke von St. Paul's. An der Ecke blieb Sir Robert stehen und bedachte mich mit einem förmlichen Nicken, doch seine Frau richtete das Wort an mich.
    »Ei, guten Morgen, Dame
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