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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle
Autoren: Judith Merkle-Riley
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den Boden warfen. Rings um die Steinpfeiler des Mittelschiffs scharten sich Händler und Hausfrauen, wickelten Geschäfte ab und tauschten Ratschläge aus: wie man Obstbäume zurückschnitt, Schuhe und Pferdegeschirr ausbesserte und ähnliches mehr. Die Stimme des Priesters vor dem Altar ging darin unter wie im Hummelgesumm eines sommerlichen Gartens. Nachzügler eilten an dem marmornen Taufstein vorbei, bekreuzigten sich hastig und mischten sich ins Gedränge, als ob sie die ganze Zeit über dagewesen wären. Ich richtete meine Gedanken auf Gott, und schon verklangen Lärm und Gesumm. Früher einmal habe ich geglaubt, man müßte beten wie die Priester, sonst würde Gott nicht zuhören, aber glücklicherweise hat ER mich eines Besseren belehrt. Herr des Himmels und der Erden, der DU die Liebe selbst bist, laß meinen Liebsten wohlbehalten heimkehren. Beende den Feldzug in Frankreich und bring ihn zurück.
    Margaret, ICH ordne die Angelegenheiten der Völker nicht einer einzigen Frau zu Gefallen.
    Aber, Herr, gewißlich sind wir viele.
    Margaret, auf jeden Menschen, der um Liebe und Frieden bittet, kommt ein halbes Dutzend, das um Krieg und Ruhm bittet. Wie findest du das?
    Dann läßt sich DEINE Gnade also mathematisch berechnen? Ich wußte nicht, daß DU auch Buchhalter bist.
    Margaret, es gibt Tage, da weiß ICH nicht, warum ICH mir deine lästigen Bemerkungen gefallen lasse.
    Um meiner Liebe willen, o Herr. Nur DU weißt, wie ich mich danach sehne, seinen Schritt auf der Diele zu hören, den Klang seiner Stimme, wenn er meinen Namen ruft. Ich möchte ihn wiedersehen, groß und schön in seinem grünen Samtgewand, und ich möchte ihn lachen hören, wenn er gewahr wird, daß er den Federkiel hinter dem Ohr vergessen hat. Es bleibt unter uns, lieber Gott, wie ich nächtens nach der warmen Mulde im Bett taste, wo er liegen sollte. Ich möchte wieder doppelte Portionen backen und brauen und saure Miene zu seinen gräßlichen Wortspielen machen. Und spüren, daß er mich auf den Nacken küßt…
    »Mutter, du machst es schon wieder.«
    Lieber Gott, behüte meine Kinder, meine vaterlosen Mädchen, die DEINEN Segen brauchen, meinen lieben Kleinen, seinen Sohn…
    Margaret, du hast mir deine Wünsche bei vielen Gelegenheiten kundgetan. Als Weltenrichter versichere ICH dir, daß du zu dem halben Dutzend der geschwätzigsten Frauen meiner Schöpfung gehörst. Warum kümmerst du dich nicht um deine Angelegenheiten und läßt MIR für ein Weilchen Zeit für MEINE göttlichen Geschäfte?
    Aber Herr, ich habe doch noch gar nicht für meine Verwandtschaft und für meine Nachbarn und die alte Gammer Kate gebetet, die Eier verkauft, nur daß ihr die Hühner eingegangen sind, und…
    Margaret, hat dir noch kein Mensch gesagt, daß man sich auch beim Beten kurz fassen soll?
    Ich dachte, das hätten sich die Priester ausgedacht, da DU, o Herr, ein unermeßlich offenes Ohr hast…
    Ein tiefer Seufzer wie Wind, der durch alle Bäume dieser Erde raschelt, schien durch das Universum zu rauschen.
    »Mutter.« Cecily sprach mit dringlicher Stimme, und sie zupfte mich am Ärmel. »Du mußt aufhören. Sonst sehen es die Leute.« Ich machte die Augen auf. Und fürwahr, im Kirchenschiff schien ein rotgoldener Nebel zu schweben. Das heißt, ich blickte durch ihn hindurch, denn das Leuchten umgab mich. Du meine Güte. Ich richtete meine Gedanken auf traurige Waisen, auf unglückliche Seeleute, die auf dem Meer verschollen waren, und auf den Kummer der Heiden, die nie vom Evangelium hören werden, und schon begann das Licht zu verblassen. Wer Probleme mit dem Leuchten hat, kann gar nicht vorsichtig genug sein, aber wenn die Welt nicht so schlecht wäre, würde man derlei nicht für unschicklich halten, vor allem nicht in der Kirche. Schließlich soll man im Hause Gottes auch mit IHM reden, oder? Aber das sehen die Priester wohl anders. Die wollen allein reden.
    Dabei ist ohnedies alles Gottes Schuld. Vor langer Zeit, in bösen und wirren Zeitläuften, ist mir Gott in einer Lichtvision erschienen, hat mein Herz gefestigt und meinen Händen die Gabe des Heilens geschenkt. Aber da ER natürlich Gott ist und einen etwas anderen Sinn für Humor hat als die Menschen, hat ER mir zusätzlich dieses sichtbare und hochnotpeinliche Zeichen SEINER Gnade geschenkt, und das hat mir seitdem nichts als Unbill und viele befremdliche Abenteuer eingetragen. Hätte mich Master Kendall nicht auf der Straße aufgelesen, damit ich seine Gicht kurierte, wäre ich gewiß
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