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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Schleier hängen, als dessen Besitzerin aus der Tür hinaus und in die Zugluft des Ganges trat.
    Das kann nicht sein, dachte sie. Außerdem sieht weißes Leinen immer gleich aus. Vergib mir, o Herr, es muß der Neid sein. Weil ich Helferin der Beschließerin werden wollte; und wenn mein Mann einen höheren Rang hätte und in größerer Gunst stünde als die Familie de Vilers, wäre mir diese Ehre auch zuteil geworden.

Kapitel 2
    C ecily, was stellst du bloß mit deinem Haar an? Selbst aus den verhedderten Locken sprießen weitere verhedderte Locken. Die fressen die Kämme ja bei lebendigem Leibe auf! Mutter Sarah, ist Peregrine schon angezogen?« Als Peregrine aus Mitgefühl in das Wehgeheul seiner älteren Schwester einstimmte, zupfte mich jemand am Ärmel. Die Morgensonne lugte über den Horizont, und die Kälte lag noch wie eine Decke auf dem Fußboden. Von unten hörte man Töpfegeklirr und -geklapper und das Geräusch eilender Schritte, dann stach mir der beißende Rauch des frisch angelegten Herdfeuers in die Nase.
    »Mama, ich habe mir schon die Haare gekämmt.« Meine zweite, Alison, mit siebeneinhalb Jahren noch kindlich rund, hielt mir eine lange, seidige, rotblonde Strähne zur Begutachtung hin. Das hörte sich zu selbstgefällig an.
    »Ja, hübsch, Schätzchen…«
    »Aber bloß, weil deine ganz glatt sind… Aua! Und meine hat Gott lockig gemacht, weil das besser ist, ätsch!« Cecily entwand sich dem Kamm, ihr Gesicht war unter den Sommersprossen vor Entrüstung ganz rot geworden. Sie war noch keine zehn Jahre alt und aufsässig, hatte Knubbelknie und mehr Flausen im Kopf als ein ganzer Sack Flöhe, sie war meine Älteste und brachte mich zur Verzweiflung.
    »Halt still, halt still«, sagte ich und machte mich mit dem Elfenbeinkamm wieder über ihre wilden roten Locken her. »Was sehe ich da? Ein Ästchen? Cecily, du bist wieder geklettert. Wie soll aus dir jemals eine Lady werden, wenn du immerfort auf Bäume kletterst?«
    »Aber ich will gar keine Lady werden. Ich will ein, ein…«
    »Verschone mich damit, daß du ein Junge werden willst, denn das geht nicht, und damit Schluß.«
    »… Drache werden, ätsch!«
    »Ha! Cecily will ganz grün und schuppig und häßlich…«
    »Kinder, Kinder, es reicht. Alison, ist das da auf der Passe deines guten Kleides ein Fettfleck? So kannst du es nicht anbehalten. Zieh sofort das blaue an, sonst kommen wir zu spät.«
    »Aber das ist gar nicht hübsch«, jammerte Alison und stimmte in das Wehgeheul ihrer Schwester und ihres kleinen Bruders ein.
    Warum ist es immer so schwer, rechtzeitig zur Messe in die Kirche zu kommen? Vor allem an einem Festtag wie heute, dem Tag des heiligen Augustin im Monat Mai des Jahres des Herrn 1360, an dem alle Welt mit Argusaugen aufpaßt, wer zu faul ist, um sich sonntäglich anzuziehen. Man sollte meinen, Gott würde einem den Weg zur Messe ebnen und erleichtern, aber nein, er ist dornenreich und voller Fallgruben. Und falls das eine Glaubensprüfung sein soll, so wie er Heilige in der Wüste in Versuchung geführt hat, dann könnte er sie ruhig eindrucksvoller gestalten, mit gähnenden Schlünden beispielsweise und feurigen Flammen statt mit brüllenden Kindern und Mutter Sarah, die Peregrines linken Schuh nicht findet. Ich nahm mir vor, das irgendwann bei Gott vorzubringen, wenn ich nicht gerade Kinder anzog.
    »Eure Trippen, Kinder, draußen ist es matschig…Nein, keine Widerworte. Es ist mir einerlei, daß es gestern abend aufgehört hat zu regnen. Wenn ich sage, es ist matschig, dann ist es matschig.«
    Früher einmal, in der Zeit unseres Wohlstands, als Cecilys und Alisons Vater noch lebte, sorgte er dafür, daß die Witwe eines armen Ritters den Kindern Unterricht in Französisch und höfischen Manieren erteilte. Aber Madame war so steif und wohlerzogen, daß sie sich mit knapper Mühe dazu herabließ, die Töchter eines Tuchers zu unterrichten, wie wohlhabend und gesellschaftsfähig der auch sein mochte. Und als ich mich nach seinem Tod wieder verheiratete, hielt sie das für einen so unverzeihlichen Bruch der Etikette, daß sie in einer Wolke von Geringschätzung entschwand.
    Die französische Sprache blieb den Mädchen jedoch länger erhalten als Madame, vor allem da sie in der Familie meines neuen Ehemannes gesprochen wird. Von den guten Manieren kann ich das leider nicht behaupten, die verschlissen schneller als die Knie von Peregrines Beinlingen. Gut, wenn sie schon kein höfisches Benehmen haben, so sollen sie
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