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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle
Autoren: Judith Merkle-Riley
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an dem Gewusel freute. Ein Haus voller Kinder, voller Leben, voller Glück und Sorgen, das war so ganz anders als die kalte, unwirtliche Burg seiner Kindertage, anders als die fernen Orte voller Blut und Tod, von denen er gerade zurückgekehrt war. Seine braunen Augen leuchteten auf, als er mich erblickte, und die Andeutung eines Lächelns huschte über sein Gesicht, als er mir von seiner Höhe herab auf den Kopf sah. Denn er ist hoch gewachsen und schön, mein Herr Gemahl, hat eine lange, normannische Nase und einen dunklen Lockenschopf, und unsere Herzen sprechen zueinander, selbst wenn unsere Lippen schweigen. In diesem Augenblick sagte sein Herz, Margaret, es war so langweilig und trübselig, an diesem Regentag zu arbeiten, da habe ich ein wenig Unordnung gemacht, damit du kommst und alles wieder richtest.
    »Mein viellieber Herr Gemahl«, sagte ich, »Eure Sorgen und Lasten nehmen Überhand. Warum stellt Ihr nicht einen Schreiber ein, der Euch bei der Arbeit hilft?«
    »Aber, ma chère Margaret, Herzallerliebste, denk an die Kosten.« Ich merkte jedoch, daß ihm die Idee bereits zusagte. Ein tüchtiger Bursche, der ihm die Bücher nachtrug, wenn er von den Illuminatoren kam; der seine Notizen in einer schönen Handschrift abschrieb; der ihm eine zusätzliche Flasche Tinte besorgte; der ihm weitere Federkiele anspitzte. Es schien die vollkommene Lösung zu sein.
    »Wenn er auch noch die Haushaltsbücher führt, wären die Kosten für seinen Unterhalt zu verantworten«, erwiderte ich. Und so geschah es, daß Nicholas LeClerk, der keinen Universitätsabschluß besaß, weil er zuviel in Schenken randaliert und krakeelt hatte, an unseren Tisch kam. Ich gehorchte Gottes Gebot und ließ mittendrin ab, über Geld Buch zu führen. Statt dessen zeichnete ich die Mysterien von Gottes Schöpfung auf und berichtete, wie ich vom Schicksal in eines der allerseltsamsten verstrickt wurde.

4 Kindermützen aus bester Wolle, 3 Pence das Stück
1 Faß gepökelter Stör, 3 Pfund
3 Scheffel Weizenmehl, je 18 Pence, von Piers, dem Müller, der wieder einmal zu leicht gewogen hat.

    Im Jahre des Herrn 1360 war ich, die verwitwete und unanständig oft wiederverheiratete Margaret de Vilers, mit ein paar prächtigen Pilgerabzeichen und meinem derzeitigen Ehegemahl von einer Abenteuerfahrt aus der Fremde heimgekehrt und hatte mir vorgenommen, künftig Abenteuer zu meiden. Überall auf der Welt herrschte Krieg, unser König zog gen Reims, um sich die heilige Ampulla mit dem geweihten Öl, das eine Taube für die Salbung der französischen Könige zur Erde gebracht hatte, mit Waffengewalt anzueignen, sich selbst damit zu salben und so die Krone Frankreichs in seinen Besitz zu bringen.
    Dabei hatten die Franzosen einen recht passablen König, der auf großem Fuß im Tower von London residierte, weil er das Lösegeld nicht aufbringen konnte, das entsprechend seiner königlichen Würde sehr hoch angesetzt war. Die Lage der Dinge erschien unserem König günstig, versteht sich, und so beschloß er, gegen Frankreich zu ziehen. Und wohin der König zieht, zieht auch der Herzog, und wohin der Herzog zieht, zieht auch sein Chronist, mein Herr Gemahl, Sir Gilbert de Vilers, der jüngste und wunderlichste Sohn dieser vornehmen, aber verarmten alten Familie, in die ich nach ausnehmend kurzer Witwenschaft eingeheiratet hatte. Mein früherer Ehemann, Master Roger Kendall, Ältester der Tuchergilde von London und sehr reich, wenn auch ziemlich alt, pflegte zu sagen: »Krieg und hehre Worte, denk daran Margaret, meinen in Wirklichkeit nur das Geld.« Daher meine Überzeugung, daß es sich im tiefsten Grunde auch hier um Geld dreht, selbst wenn alle Welt glaubt, daß es um einen Krug mit Salböl in einer fremdländischen Kirche geht. Und da setzt meine Geschichte ein: mit einem Krieg und all den englischen Kriegern, die in die Fremde zogen, um ihr Glück zu suchen. Was wieder einmal beweist, daß man sich vor dem Abenteuer noch so friedlich zu Hause verstecken kann, es kommt und findet einen, wenn es Gottes Wille ist.

Kapitel 1
    D urch den Tanzsaal im Herzen von Leicester Castle, dem Hauptsitz des Herzogs von Lancaster – mächtiger Kriegsherr, starke Hand und weiser Berater Edwards III. –, schallte das Geschrei vermummter Kinder, die auf der Musikantengalerie tobten. Kühle Luft, frühlingshaftnebelfeucht, wehte durch die hohen, unverglasten Fenster herein, stob über den schimmernd gefliesten Fußboden, säuselte an den grauen Steinmauern entlang und
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