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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle
Autoren: Judith Merkle-Riley
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daß es uns genauso dreckig geht wie ihnen. Wir haben auf zwanzig Meilen in der Runde alles niedergebrannt, und was wir nicht verbrannt haben, das haben sie verbrannt, ehe sie sich in die Stadt zurückgezogen haben. Es gibt kein Essen, kein Futter, die Karrengäule verrecken, die Männer murren. Wir können uns nicht halten.
    »Psst. Gilbert.« Jemand – wer, das wußte er nicht – war draußen vor seiner offenen Zeltklappe, im letzten Schein des fahlen Zwielichts nur als dunkler Umriß auszumachen. »Heda, Gilbert, du verblödeter Federkratzer, komm heraus.« Oh. Vater. Gilbert steckte sich den Federkiel hinters Ohr und betrachtete die dunkle Gestalt mit gelassen-ironischem Blick. »Ist das eine Art, seinen Vater anzusehen, du Otterngezücht«, sagte die Gestalt.
    »Verzeiht mir, höchst trefflicher und ehrenwerter Erzeuger«, sagte Gilbert, erhob sich und begrüßte den alten Mann mit ausgesuchter Förmlichkeit.
    »Gilbert, komm mit und sieh dir die Pferde an. Wir haben schon wieder zwei verloren…«
    »Saumtiere?«
    »Nein, meine Schlachtrösser, verdammt noch mal. Mein Herzblut. Komm mit und sieh dir das an. Es muß an dem verfluchten französischen Futter liegen. Du schleichst doch die ganze Zeit um den Herzog herum. Mach einmal Gebrauch von deiner Stellung, und erzähle ihm von meinen Pferden. Falls wir hier noch länger hocken, ist das Brokesford-Gestüt erledigt. Mir bleiben gerade noch drei Zuchthengste, Gilbert. Drei – den eingeschlossen, den du reitest. Gott allein weiß, ob ich auch nur einen davon wohlbehalten nach Haus bringe.« Gilbert hatte seinen Vater während des Feldzugs noch nie in solch einer Verfassung erlebt, nicht einmal, als er den achten Bogenschützen aus seinem Dorf verloren hatte und ins Grübeln geriet, woher er ausreichend Männer zum Pflügen nehmen sollte; falls er überhaupt wieder nach Hause käme. Gilbert stand schnell auf, zog einen pelzgefütterten Mantel über das fleckige Lederwams und den Wollkittel. Draußen waren seine eigenen Pferde angepflockt, sein Stallbursche fütterte sie. Sein Vater musterte das Futter mit grimmigem Blick, ließ es durch die Finger rieseln und roch daran. »Nein, nein. Das Zeug hier ist in Ordnung.« Er musterte das schwarze Schlachtroß, dessen Futter er gerade geprüft hatte. Der Hengst war abgemagert, trug eine Winterdecke, verdrehte die Augen und tänzelte zur Seite. »Mager, verdammt mager. Aber wenigstens hat er noch Temperament.« Bei diesen Worten feixte der Knecht, der ihn fütterte. Urgan als temperamentvoll zu bezeichnen war geschmeichelt; er war übellaunig und verrückt, das schönste und gleichzeitig das gemeinste, unzuverlässigste Pferd des Gestüts. Aus diesem Grund hatte Sir Hubert ihn Gilbert auch für den Feldzug geborgt.
    Sie schlängelten sich zwischen kleinen Feuerstellen hindurch, an denen Kaninchen, Igel und alle möglichen Geschöpfe gebraten wurden, die so dumm gewesen waren, sich fangen zu lassen. Ringsum hockten Bogenschützen, Pikeniere und Sappeure und tranken mit Wasser verdünnten französischen Wein. Vor den Zelten seines Vaters und seines älteren Bruders Hugo war der Rest des Gestüts von Brokesford angepflockt. Drei Männer in knielangen Stulpenstiefeln, in pelzgefütterte Mäntel gehüllt, standen vor einem aufgedunsenen toten Schlachtroß. Ein anderer Mann, einer der Stallknechte aus Brokesford, kniete neben dem Kopf des Tieres.
    »Mylord!« rief Sir Hubert, riß sich die gesteppte Helmkappe vom weißen Haar und fiel vor dem mächtigen Herzog von Lancaster auf die Knie.
    »Sir Hubert, erhebt Euch, erhebt Euch sofort«, sagte Henry von Grosmont, Herzog von Lancaster, Graf von Derby, Lincoln und Leicester, Marschall von England, Herr von Bergerac und Beaufort und an Macht und Ländereien fast so groß wie der König selbst. »Euer Schlachtroß scheint eingegangen zu sein. Eure Meinung, mit Verlaub?«
    »Mylord, wir haben zuwenig Futter, und das, was wir haben, verfault uns.« Er hielt inne. Das Wort ›Rückzug‹ gab es nicht in seinem Wortschatz. »Wenn wir noch eine Woche länger bleiben, verlieren wir alle Pferde.«
    »Genau meine Meinung. Aber ich würde eher sagen ›noch zwei Tage länger‹«, sagte der Herzog. Er war ein nüchtern denkender Mann von fünfzig Jahren mit durchtriebenem Blick und langer Erfahrung darin, wann man etwas riskieren konnte und wann nicht. Jetzt schritt er neben dem Schlachtroß, einem schönen Apfelschimmel, auf den er selbst einmal ein Auge geworfen hatte, auf und ab und
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