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Die Wuensche meiner Schwestern

Die Wuensche meiner Schwestern

Titel: Die Wuensche meiner Schwestern
Autoren: Lisa van Allen
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schien es Spaß zu machen, Menschen nachzuspüren und sie aufzustöbern, und sie blühte auf, wenn sie die Freude oder die Verwirrung in deren Gesichtern sah, nachdem sie die in Ehren gehaltenen oder auch vergessenen alten Schätze in die Hand gedrückt bekommen hatten.
    Sie ließen die Grenze zwischen Sleepy Hollow und Tarrytown hinter sich, die nur daran erkennbar war, dass die Straßenschilder auf der Seite von Sleepy Hollow orange-schwarz waren. Ruth Ten Eckyes eindrucksvolle weiße Villa lag hoch oben auf dem Hügel; sie hatte eine flache Dachtraufe und wie Schnecken gerollte steinerne Vorsprünge. Aubrey blieb einen Augenblick im Auto sitzen, um ihren Mut zu sammeln. Ruth würde sie herablassend und empört herunterputzen, wenn Aubrey mit der Kürbisbrosche vor ihr auftauchte. Außerdem war da noch die Sache mit dem Geld; Ruth hatte zweihundert Dollar für ihren Zauber bezahlt. Aubrey hatte zur Zeit keine zweihundert Dollar, und es würde eine Weile dauern, bis sie es zurückzahlen könnte. Zum Glück hatten nur wenige Kunden der Strickerei jemals Geld geopfert.
    Aubrey lief über die flachen Steine, die zum Familiensitz der Ten Eckyes führten. An der Haustür gab es keine Klingel, bloß einen Messinglöwen mit einem Ring im Mund. Sie klopfte zuerst zaghaft, dann lauter, und wartete eine gefühlte Ewigkeit, bis die Tür quietschend aufging.
    »Sie!«, entfuhr es Ruth überrascht. »Sie – das wurde aber auch Zeit. Kommen Sie herein!«
    »Haben Sie uns erwartet?«, stammelte Aubrey.
    »Ja, ja«, erwiderte Ruth ungeduldig und tat die Frage mit einer Handbewegung ab. »Aber es macht nichts, dass Sie so lange gebraucht haben. Was zählt, ist, dass Sie jetzt hier sind.«
    Sie betraten die Eingangshalle, die die Form eines Kleeblattes hatte. Der Fußboden war mit kleinen weißen Kacheln gefliest, und die Decke wurde von einem Kronleuchter aus Messing geschmückt, in dessen Licht Aubrey Ruth deutlicher sah: Sie wirkte müde und dünn, das beigefarbene Kleid hing ihr schlaff von den Schultern, und ihr normalerweise zu ordentlichen Locken gewickeltes Haar lag flach am Kopf an.
    »Wow.« Nessas Blick wanderte hin und her, um den ganzen Raum mit seinen üppigen Verzierungen und Ornamenten aus schwerem, geschnitztem Holz zu erfassen. »Hübsche Bude.«
    »Wie bitte? Und wer bist du?«
    »Sie erinnern sich doch gewiss an meine Nichte«, sagte Aubrey. »Ness– «
    »Ich bin Vanessa«, unterbrach diese sie. »Und Ihr Haus ist wirklich schön.«
    »Danke – «
    »Wie ein prunkvolles Mausoleum«, fügte sie hinzu.
    »Nun ja. Kommt, setzt euch«, meinte Ruth.
    Aubrey folgte Ruth in ein riesiges, vollgestopftes Wohnzimmer, das sicher eine so schicke Bezeichnung trug wie Empfangszimmer oder Salon . Es war ganz sicher kein einfacher Hobby- oder Freizeitraum . Sie ließ sich steif auf ein Sofa nieder, das sich unter ihr wie ein hart gewordener Spülschwamm anfühlte. All die Sorgen, die ihr die Rückgabe von Ruths Brosche bereitet hatte, waren verflogen, als sie die Mischung aus Erwartung und Erschöpfung in Ruths Blick wahrgenommen hatte. »Geht es Ihnen gut?«, fragte sie.
    »Sehe ich etwa so aus?«, fragte Ruth und lachte ungehalten. »Natürlich nicht. Ich habe Krebs.«
    »Oh, das tut mir sehr leid«, erwiderte Aubrey.
    Ruth zuckte die Achseln. »So erlöse ich wenigstens meine Kinder von ihrem Leid. Die warten schon seit dem Tod meines Mannes darauf, meinen Besitz endlich unter sich aufzuteilen.«
    »Ich bin mir sicher, dass sie das nicht tun«, sagte Aubrey, obwohl sie wusste, dass es wahrscheinlich der Wahrheit entsprach. »Ich habe etwas für Sie. Ich hoffe, es wird Ihnen irgendwie … ich weiß nicht … helfen.« Sie griff in ihre große Handtasche und kramte darin herum, bis sie Ruths Anstecker gefunden hatte. Sie hielt ihn Ruth auf der ausgestreckten Hand hin. Sein schlitzohriges, bedrohliches silbernes Grinsen wirkte fehl am Platz unter den sanft aufblühenden Blumen eines Frühlings am Hudson.
    »Was hat das zu bedeuten?«, wollte Ruth wissen.
    »Wir geben alle Opfergaben zurück«, erklärte Nessa eifrig. »Wir brauchen sie nicht mehr. Anscheinend hat es keine negativen Auswirkungen, wenn wir sie zurückgeben.«
    Aubrey beobachtete die ältere Frau, wartete auf ein Zeichen der Erregung, Missbilligung oder Verärgerung. Doch Ruth saß nur reglos da.
    »Es ist in Ordnung, Sie können sie nehmen«, redete Aubrey ihr gut zu.
    »Nein«, entgegnete Ruth, und das Wort klang mehr wie ein Krächzen als wie ein Flüstern.
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