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Die Wuensche meiner Schwestern

Die Wuensche meiner Schwestern

Titel: Die Wuensche meiner Schwestern
Autoren: Lisa van Allen
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den er für Notfälle in der untersten Schreibtischschublade aufbewahrte, ein Glas ein. Der Krankenwagen war gerade erst abgefahren, nachdem die Sanitäter Mariah Van RippersKörper aus seinem Büro getragen hatten. Er lehnte sich in seinem zigarrenbraunen Stuhl zurück, der unter seinem Gewicht aufjaulte.
    »Weißt du, kein Mensch will , dass so etwas geschieht«, sagte er.
    Jackie Halpern, die sich um seine Wahlkampagnen, seine Buchhaltung, seine Sockenschublade und seine Blutdruckmedikamente kümmerte, lächelte. »Natürlich nicht.«
    »Aber wenn es nun einmal passieren musste …«
    »Sag es nicht«, bat sie ihn. »Ich weiß.«
    * * *
    Langsam, wie ein schwacher Dunst, der sich gemächlich durch Tarrytowns freundliche Vorstadtstraßen schlängelte, verbreiteten sich Gerüchte über Mariah Van Rippers Tod unter den Menschen, die sie kannten, und unter denen, die sie nicht kannten, bis daraus ein undurchdringlicher Nebel schlechter Neuigkeiten, so dicht wie Rohwolle, geworden war, der zum Fluss hinunterwaberte, hinein in das marode Viertel, das Mariahs Heimat gewesen war. Die Hunde in Tappan Square, räudige Rottweiler und Pitbulls, die sonst durch die geschlossenen Fenster bellten, verstummten plötzlich und gaben keinen Laut von sich, wenn jemand an ihrem Haus vorbeikam. Der verrostete alte Wetterhahn auf dem Turm der Strickerei drehte sich dreimal gegen den Uhrzeigersinn um sich selbst, bis er, nach Osten weisend, zum Stehen kam, und wenn einer der Bewohner von Tappan Square es gesehen hätte, wäre ihm sofort klar gewesen, dass dies kein gutes Zeichen war.
    Tappan Square war alles andere als Tarrytowns bestgehütetes Geheimnis. Der Stadtteil war nicht Teil der weitverbreiteten, allgemein anerkannten Sagen dieser Gegend. Wenn Besucher sich von ihren Navigationsgerätennach Tarrytown und in die Nachbarstadt Sleepy Hollow führen ließen, übergingen sie Tappan Square stets. Stattdessen strömten sie nach Sunnyside, zu dem unter Efeu erstickenden Cottage, in dem Washington Irving einst lebte und starb und vom Galoppierenden Reiter und von Ichabod Crane träumte. Sie strichen fröhlich um den Fuß der zinnenbewehrten gotischen Burg Lyndhurst, die düster und gebieterisch über den Hudson River hinwegblickte, und zeigten sich gegenseitig Wahrzeichen aus Vampirhorrorfilmen in ihren dämmrigen, feierlichen Hallen. Sie stapften zwischen den mit Flechten überzogenen Statuen der Old Dutch Church entlang und wanderten, mit Kameras und festem Schuhwerk versehen, vorbei an Grabsteinen mit Familiennamen wie Beekman , Carnegie, Rockefeller und Sloat . Sie waren auf der Suche nach dem, was jeder an den Ufern des Hudson River suchte: Verzauberung. Ein Fünkchen der guten, alten Magie. Und dennoch machten sich Fremde selten auf den Weg in die Nachbarschaft von Tappan Square, wo aus den Fenstern rostiger Schrottkarren laute Salsabeats dröhnten, wo illegale Kabeldrähte von Fenster zu Fenster gespannt waren und wo in jenem Haus, das seit Ewigkeiten von der Van-Ripper-Familie bewohnt wurde, eben diese Magie oder zumindest ein Anflug davon beheimatet war.
    Die Strickerei, wie sie von ihren Nachbarn und irgendwann auch von ihren Bewohnern genannt wurde, hatte schon immer den Van Rippers gehört. Für die Anwohner war sie ein Kuriosum wie der Augapfel eines Wals in einem Einweckglas mit Formaldehyd, ein ausgestopftes Fohlen mit staubbedeckten Wachsaugen – ein Ding, dem man hätte erlauben sollen, zu zerfallen, nachdem das Leben aus ihm entwichen war, das jedoch künstlich bewahrt wurde. Das Haus mit seinem über die Jahrhunderte zusammengeschusterten architektonischen Mischmasch – seinem zurückhaltenden georgianischen Kern, seinemfeurigen Mansardendach, seinem mit Fischschuppenziegeln bedeckten Turm, gekrönt von einem Hexenhutdach – wirkte nicht gerade einladend. Die jüngste Generation der Van Rippers, zuletzt angeführt von Mariah, hielt nichts von Renovierungen. Sie überstrichen nicht die Tapete mit dem scheußlichen Kohlrosenmuster im Wohnzimmer, reparierten das verschnörkelte schwarze Tor vor dem Haus nicht, das seit dem großen Schneesturm von 1888 windschief in den Angeln hing, und tauschten auch nicht das Schild mit der Aufschrift STRICKEREI am Hauseingang aus, obwohl es kaum noch zu entziffern war. Tatsächlich protestierten sie heftig gegen solche Veränderungen und »unnötigen« Verbesserungen, die sie als Beleidigung der Geschichte ansahen. Mariah Van Ripper soll buchstäblich geweint haben, als das
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