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Die Wuensche meiner Schwestern

Die Wuensche meiner Schwestern

Titel: Die Wuensche meiner Schwestern
Autoren: Lisa van Allen
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vermisste Aubrey Blickkontakt in Gesprächen kaum mehr, als ein Erwachsener einen halbvergessenen Kindheitsfreund entbehrte. Mit einer Ausnahme. Er hieß Vic, und sie wünschte sich, ihm einmal, ein einziges Mal nur, direkt in die Augen blicken zu können.
    Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. Sie drehte sich um und sah Jeanette Judge vor sich stehen, die direkt von ihrer Schicht in der Bibliothek kam und noch leicht nach alten Büchern roch. Jeanette sah sie aus ihren feuchten schwarzen Augen, die ihre Gefühle nie verbargen, tief besorgt an.
    »Ich habe es gerade gehört. Wie geht es dir?«
    »Eigentlich ganz gut.«
    »Lüg mich nicht an, Aubrey Van Ripper«, schimpfte Jeanette. Sie trug den grauen Poncho, den Aubrey ihr vor einigen Jahren gestrickt hatte, als Jeanette sich bemühte, einen Kredit für ihr neues Auto zu bekommen, und wie sie nun vor ihr stand, mit den in die Hüfte gestemmten schwarzen Händen und Unterarmen, die unter grauen Wollfransen hervorschauten, erinnerte sie Aubrey ein bisschen an einen grauen Ritter mit einem diamantförmigen Schild. »Komm her.« Jeanette schlang ihre kräftigen Arme um sie, und Aubrey überließ sich dem warmen, festen Griff ihrer Freundin und war fast verlockt, zu probieren, ob sie die Füße vom Boden abheben könnte.
    »Was ist denn genau passiert?«, wollte Jeanette wissen, als sie Aubrey schließlich losließ.
    »Ihrem Herzen ist die Luft ausgegangen.«
    »Die Luft ausgegangen? Ein Herz ist doch kein Ersatzreifen.«
    Aubrey zuckte die Achseln. Sie wollte nicht Herzanfall sagen. Ein Herz sollte keine Anfälle bekommen. Sie wollte sich erklären, doch Jeanettes Blick wurde plötzlich starr und richtete sich bedrohlich auf etwas hinter Aubreys Schulter.
    »Was willst du denn, Katrina Van der Donck?«
    Aubrey drehte sich leicht zur Seite und sah in Katrinas wachsamen Augen Vergnügen aufblitzen.
    »Nichts Besonderes«, entgegnete Katrina.
    Jeanettes Nasenflügel weiteten sich. »Du tratschst wohl gerne, hm? Na, da hab ich was für dich. Es geht um eine bestimmte, uns beiden wohlbekannte Person, die in der Strickerei aufgetaucht ist – auf der Suche nach dem Van-Ripper-Voodoo.«
    »Das wagst du nicht«, sagte Katrina.
    »Und ob«, meinte Jeanette. »Warum haust du nicht ab und leerst jemandem die Bettpfanne aus?«
    Katrina zog die Oberlippe hoch und bleckte die Zähne. »Besser als mich um diese Scheiße hier kümmern zu müssen.« Sie zerrte ihre Freundin am Ärmel ihres Kittels davon, und die beiden verschwanden im Labyrinth der Krankenhausgänge.
    »Das hättest du nicht tun müssen«, bemerkte Aubrey.
    »Glaub mir, es ist mir ein Vergnügen.«
    Trotz ihres Kummers kräuselten sich Aubreys Lippen zu einem Lächeln. »Van-Ripper-Voodoo?«
    »Das Miststück legt sich besser nicht mit mir an«, erwiderte Jeanette.
    Aubrey lachte. »Mir gefällt deine Wortwahl, wenn du wütend bist.«
    »Meine alten Collegeprofessoren sollen doch stolz auf mich sein können.«
    Die Frau hinter dem Tresen, die Aubrey das lila Klemmbrett gereicht hatte, räusperte sich. Aubrey wendete sich seufzend wieder dem Papierkram zu. Sie fragte sich, wie oft man sie noch daran würde erinnern müssen, dass Mariah tot war, bis sie nicht mehr überrascht darüber wäre.
    Vor Jahren hatte Mariah eine Hellseherin dafür bezahlt, ihr die Zukunft vorherzusagen, und die kettenrauchende alleinerziehende Mutter hatte geschworen, Mariah werde an ihrem hundertsten Geburtstag von einem Blitz erschlagen werden. Stattdessen war Mariah nun – gut zwanzig Jahre vor dem angekündigten Datum – an einem wolkenlosen Tag mitten im Gemeindezentrum tot umgefallen. Aubrey konnte es sich genau vorstellen: wie Mariah Steve Halpern wegen seines neuen Einkaufszentrums, dem Tappan Square weichen sollte, mit in die Luft gestreckter Faust und auberginefarben angelaufenem Gesicht gehörig den Kopf wusch und dann plötzlich zusammenbrach, um nie wieder aufzustehen. Hätte es doch nur einen Vorhang zum Zuziehen gegeben, ein Publikum, das Rosen warf und Bravo! rief – es wäre ein passenderes Ende gewesen.
    Aubrey setzte ihren Namen neben ein weiteres X.
    »Sind wir denn sicher, dass es keine Fremdeinwirkung gab?«, fragte Jeanette.
    »Natürlich.«
    »Ich meine ja nur. Der Typ hat vielleicht keine Waffe gehabt, aber umgebracht hat er sie dennoch.«
    »Steve Halpern ist ein Mistkerl, aber kein Mörder.«
    »Er ist Politiker. Und er hat sie mit all dem Stress umgebracht.«
    »Na ja, er – «
    »Das hat er. Er hat sie
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