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Die Wuensche meiner Schwestern

Die Wuensche meiner Schwestern

Titel: Die Wuensche meiner Schwestern
Autoren: Lisa van Allen
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Innenleben einer der großen alten Toiletten der Strickerei entkernt werden musste und sich keine baugleichen Ersatzteile für das alte Verdauungssystem finden ließen.
    Und weil Mariah zu viel Respekt vor ihren Ahnen zeigte, als dass sie einen lächerlichen Fensterladen repariert oder einen Geländerpfosten befestigt hätte, wurde die Strickerei mit der Zeit erst altmodisch, dann unansehnlich, bis sie schließlich der Schandfleck einer Nachbarschaft war, die ohnehin schon das Auge beleidigte. Wie Schneeflocken legte sich die Vergangenheit über alles, und Mariah hatte es stets zugelassen, so wie man zuließ, dass die Sonne morgens auf- und abends unterging. Natürlich passte ihre Philosophie bestens zu ihrer Abneigung gegenüber Hausarbeit und ihrem Widerwillen, das wenige Geld, das die Van Rippers verdienten, für etwas so Frivoles wie eine neue Türklingel auszugeben. Doch was auch immer die Motivation sein mochte, das Ergebnis war, dass die Strickerei – von einigen als Herz von Tappan Square angesehen, von anderen als dessen Tumor – hässlich, verwahrlost und verfallen war.
    Als die Neuigkeit von Mariahs Tod ihre Tentakel in die Nachbarschaft ausgestreckt hatte, versammelten sich nach und nach ein paar der Bewohner Tarrytowns, die das Schicksal aus allen Ecken der Welt hierher verschlagen hatte, vor der Strickerei. Die Gläubigen unter ihnen bekreuzigten sich und beteten, nicht ganz uneigennützig, Mariahs Seele möge emporgehoben und rasch an ihrem endgültigen Landeplatz deponiert werden, damit sie bloß nicht gemeinsam mit den höflicheren Geistern von Sleepy Hollow und Tarrytown auf der Erde umherstreifte. Frauen, die der Familie Van Ripper freundlich gesinnt waren, stellten bunte Kerzen in hohen Gläsern auf den Bürgersteig und steckten Nelken in das verbogene Tor des Gebäudes. Sie brauchten keine gemeinsame Sprache, um dieselbe Sorge zu teilen: Was würde mit der Strickerei geschehen? Und schlimmer noch: Was würde nach Mariahs Tod mit ihnen allen geschehen?
    Die Van Rippers waren in den Augen der einen Scharlatane, in denen der anderen waren sie Retter. Gauner oder Engel. Heilige oder Diebe. Doch selbst wenn an all dem Gerede über die Strickerei nichts dran war, wenn das einzig Merkwürdige an der Strickerei das war, was man sich über sie erzählte, hatte auch dies die vielen Generationen von Frauen in Tarrytown nicht davon abgehalten, sich in ihrer Verzweiflung zur Türschwelle der Van Rippers zu schleppen und um Hilfe zu bitten. Mach mir einen Pullover, mach mir Fäustlinge, mach mein Baby gesund, mach, dass mein Mann mich wieder liebt.
    Es hieß, die Magie der Van Rippers liege im Stricken.
    Sofern es überhaupt Magie war.

Kapitel 2
    Mach einen Knoten
    Es gab nur eine Handvoll Orte in Tarrytown, an denen Aubrey Van Ripper mit relativer Regelmäßigkeit erschien: den Lebensmittelladen, die Bibliothek, die Zoohandlung, den Sushi-Imbiss und manchmal – an klaren, kühlen Abenden – den Park. Als sie an Mariahs Todestag im Krankenhaus auftauchte, blickten ihr die Einwohner von Tarrytown daher halb ängstlich, halb fasziniert hinterher. Sie trug die klobigen weißen Gesundheitsschuhe einer älteren Dame, obwohl sie erst achtundzwanzig war, eine grauenvolle, mit vielen winzigen Vergissmeinnichtblüten bedruckte Polyesterbluse und dicke, dunkle Brillengläser in einem Plastikgestell. Ihr blondes Haar fiel ihr bis auf die Schultern und hätte schön sein können, wäre es nicht kraus und verknotet gewesen.
    Was Aubrey betraf, war sie lange nicht so interessiert am Krankenhaus wie dessen Personal an ihr. Ihrer Vorstellung nach sollte das Krankenhaus ein lebhafter, hektischer Ort im Kampf um Leben und Tod sein. Stattdessen war es öde. Gelangweilte Verwaltungsleute kauten Kaugummi und sahen sich auf dem Fernseher im Wartezimmer den Gameshow-Kanal an, der eine Wiederholung von Glücksrad ausstrahlte. Der Empfangsbereich hätte haargenau so steril und schläfrig ausgesehen, wenn nicht zufällig gerade ihre Tante gestorben wäre.
    »Eine Unterschrift, bitte.« Die Frau hinter dem Empfangstresenschob ihr ein durchsichtiges lila Klemmbrett entgegen. »Wenn Sie Fragen haben, scheuen Sie sich nicht, sie zu stellen – aber bitte irgendjemand anderem.«
    Aubrey fügte sich. Auf jedem einzelnen Blatt Papier standen so viele Wörter, winzige Wörter aus winzigen Buchstaben, die ineinander übergingen. Wenn sie all diese Wörter auf einem einzigen langen Faden aufziehen könnte, würde er einmal um das ganze
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