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Die Wuensche meiner Schwestern

Die Wuensche meiner Schwestern

Titel: Die Wuensche meiner Schwestern
Autoren: Lisa van Allen
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übersäten Scheibe hinterließ, und Nessa hatte ihre Jacke zu einem Kissen zusammengerollt, über dem sich ihre leuchtend roten Haare ausbreiteten. Beides sah unbequem aus.
    »Kommt schon, ihr beiden«, rief Bitty. »Wacht auf. Nehmt eure Sachen.«
    Sie wartete nicht ab, bis die Kinder schläfrig zurück ins Leben gefunden hatten. Sie stieß die Fahrertür auf, und der kalte, starke Regen hatte ihre Jeans durchnässt, noch bevor ihre Füße den Boden berührten. Das Wasser lief in kleinen Bächen die Straße hinunter und schleifte Stöckchen und abgefallenes Laub mit sich. Sie blickte durch den schmal zulaufenden Durchgang zwischen der Strickerei und dem Nachbarhaus, doch sie konnte den Hudson nicht erkennen. Der Nebel war zu dicht.
    Sie öffnete die Heckklappe und steckte den Kopf in den Wagen. »Kinder. Ihr sollt kommen.«
    »O Mann, Mama.« Nessas Stimme klang müde und so jung. Bitty konnte sie durch das Trommeln des Regens hindurch kaum hören. »Es ist erst … Was …? Sieben Uhr morgens?«
    »Bitte helft mir einfach«, forderte Bitty sie auf.
    Sie nahm so viele Taschen, wie sie tragen konnte – Reisetaschen und Rucksäcke, eine Einkaufstüte mit Carsons Turnschuhen, ihren braunen Lederkoffer, der zum ersten Mal Verwendung fand. Ihre Kinder kletterten aus dem Wagen.
    »Ich werde nass«, beschwerte sich Nessa, worauf Carson erwiderte: »Wir auch, Doofi.«
    Bitty knallte die Heckklappe zu. »Schnell! Macht schon.«
    Sie rannte – oder trampelte eher – vollbepackt auf die geschützte Veranda zu. Für den Bruchteil einer Sekunde riss die Erinnerung sie mit sich fort. Sie rannte mit ihren beiden Schwestern um die Wette die Treppe hinauf. Sie floh atemlos vor den fiesen Nachbarskindern, die sie manchmal nach Hause verfolgten, bis sie lernte, sich gegen sie zu behaupten. Sie stand im Dunkeln auf der Treppe und küsste heimlich den Mann, der schwor, sie für immer zu lieben.
    Bitty drehte sich um und musste feststellen, dass die Kinder ihr nicht gefolgt waren. Sie starrten vom Weg aus zu ihr hoch, während sich grasig-braune Schlammpfützen um ihre Füße kräuselten. Die Strickerei thronte über dem feuchten Gartenstück, und die nach unten gesackte Veranda aus der Zeit der letzten Weltwirtschaftskrise erinnerte an ein missbilligendes Stirnrunzeln.
    »Kommt schon, ihr beiden. Es ist alles in Ordnung.«
    Sie sah, wie Nessa und Carson sich einen Blick zuwarfen – wie Kinder aus zerrütteten Elternhäusern hatten diebeiden bereits begonnen, beieinander Trost zu suchen –, dann schulterte Carson seinen Rucksack und ging voran. Nessa folgte ihm langsam, da sie mit ihren zwölf Jahren zu cool war, um sich an einer Nichtigkeit wie Regen zu stören.
    »Was für ein Scheißloch«, murrte sie.
    »Nicht solche Ausdrücke – «
    »Sie meinte natürlich Kack loch«, warf Carson ein.
    Bitty drehte sich um und wollte etwas Ermutigendes und Mütterliches sagen wie: So schlimm ist es gar nicht . Aber das Haus zerfiel, der Garten war verwildert, und die Nachbarschaft wirkte verwahrlost.
    »Na schön. Es ist ein Kackloch«, seufzte sie.
    * * *
    Aubrey war noch nicht umgezogen, als Bitty und ihre Kinder vor der Tür standen. Sie hatte die ganze Nacht in Mariahs Zimmer verbracht. Am unteren Ende von Mariahs Bett hatte »Northanger Abbey« aufgeklappt gelegen, und sie hatte darin an der Stelle weitergelesen, an der ihre Tante aufgehört hatte. Irgendwann in der Nacht hatte sie Mariahs flauschigen rosa Bademantel angezogen, um sich vor der Herbstkälte zu schützen. Und am Morgen schlug sie die Bettdecke nicht zurück. Sie blieb im Bett und versuchte krampfhaft weiterzuschlafen, dann träumte sie, dass sie einen Pullover für einen Baum strickte und die Proportionen nicht richtig berechnen konnte. Als sie ihre große Schwester die Treppe heraufrufen hörte – Hallo? Hallo? – , erschrak sie nicht. Sie hatte Bitty angerufen und ihre Ankunft erwartet. Sie wickelte Mariahs Bademantel enger um ihre Taille und ging nach unten.
    Aubrey hatte ihre Schwester nicht mehr gesehen, seit Carson sich als zahnloses Frühchen, das in einen Schuhkarton gepasst hätte, weinend in ihren Armen gewundenhatte. Nessa war damals erst zwei Jahre alt, und genervt von all der Aufmerksamkeit, die ihr Bruder allein dafür bekam, dass er auf die Welt gekommen war.
    In den Wochen vor Carsons Geburt hatte Aubrey einen einfachen, von oben nach unten gestrickten Pullover aus cremefarbener und blauer Baumwolle für ihn angefertigt, in den sie ihre Wünsche für
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