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Die Wuensche meiner Schwestern

Die Wuensche meiner Schwestern

Titel: Die Wuensche meiner Schwestern
Autoren: Lisa van Allen
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Gebäude herumreichen. Sie könnte daraus einen Pullover stricken. Oder einen dicken schwarzen Schal.
    Aus dem Augenwinkel sah Aubrey, wie zwei Krankenschwestern in einer entfernten Ecke des Raumes die Köpfe zusammensteckten und leise flüsterten. Sie trugen schlabbrige helle, mit Blumenmustern verzierte Kittel. Eine von ihnen war Katrina Van der Donck, die gern behauptete, von Adriaen Van der Donck abzustammen, dem berühmten Dokumentaristen von Sleepy Hollow aus dem siebzehnten Jahrhundert, der als Erster Slapershaven als Name für den durch das schmale Tal fließenden Nebenfluss des Hudson verzeichnete. Die andere Frau war Aubrey unbekannt. Die beiden bemühten sich, nicht in ihre Richtung zu schauen, konnten der Versuchung jedoch nicht widerstehen.
    Aubrey ertrug ihre prüfenden Blicke, solange sie konnte. Ihr Geflüster kratzte an ihrem Trommelfell wie ein Hund an einer Tür. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. Sie blickte auf, und die beiden Frauen zuckten zusammen. Aubrey sprach, so laut sie es wagte: »Euch ist schon klar, dass ich weiß, was ihr sagt, oder?«
    »O mein Gott. Sie kann also auch Gedanken lesen?«, fragte die Fremde laut genug, dass Aubrey es hören konnte. »Du hast mir nicht gesagt, dass sie Gedanken lesen kann!«
    »Sie kann keine Gedanken lesen«, erwiderte Aubrey in derselben Lautstärke.
    »Ach nein?« Katrina grinste. »Was denke ich gerade?« Sie verschränkte die Arme und starrte sie feindselig an.
    Aubrey senkte den Blick wieder auf ihre Papiere. Sie konnte spüren, wie ihr Gesicht knallrot anlief. Unter ihren Achseln prickelte der Schweiß. Sie wusste nicht genau, weshalb Katrina Van der Donck beschlossen hatte, sie zu hassen, doch sie nahm an, dass es etwas mit der Magie zu tun hatte. Vielleicht hatte Katrina einmal für einen unwirksamen Zauber bezahlt. Aubrey verabscheute Auseinandersetzungen noch mehr als matschiges Weißbrot aus Plastiktüten, Lachkonserven in Sitcoms oder Steve Halpern.
    Mariah hätte gewusst, was sie sagen sollte.
    Die Strickerei und die Frauen, die sie bewohnten, waren schon immer von einer vagen Ungewissheit, von giftigen Spekulationen umgeben gewesen. Die Spur von Aubreys Vorfahren ließ sich bis zu den ersten Siedlern verfolgen, die in den Gräben der neuniederländischen Erde lebten, und je weiter sich die moderne Welt von diesen verlausten und halbverhungerten Abenteurern entfernte, desto geheimnisvoller und faszinierender erschienen sie.
    Zu Aubreys Pech fanden die Tratschtanten Tarrytowns sie, die Bibliotheksassistentin, die im Lebensmittelladen Rote Bete kaufte und ein Bild ihres zahmen Igels im Geldbeutel mit sich herumtrug, nicht besonders faszinierend. Die Geschichten, die sich um die Strickerei rankten, waren rätselhaft, und Mariah war ihre seltsame, doch altehrwürdige Kennerin gewesen. Die arme Aubrey dagegen war einfach nur verschroben.
    Ihr Aussehen war ihrem Ruf nicht gerade förderlich. Als nächste Hüterin der Strickerei trug sie deren Zeichen. Bei Mariah hatte sich das Zeichen recht diskret offenbart: Auch ohne Parfüm, selbst wenn das Thermometer im August auf über dreißig Grad stieg, roch Mariahs Haut intensiv nach Blütenblättern. Die Duftdrüsen, die andere Menschen wie Pferde stinken ließen, hatten Mariah buchstäblichwie eine Rose duften lassen – zugegebenermaßen wie eine billige Rose, die einen manchmal an eine Wildwesthure denken ließ, aber immerhin wie eine Rose. Tarrytowns Bewohner waren davon ausgegangen, dass Mariah bloß eine dieser alten Damen war, die ihre Sorgen in Drogerieparfüm ertränkten. Und von ein paar Ausnahmen abgesehen, mochten die Leute sie zumindest so sehr, wie man eine Van Ripper eben mögen konnte.
    Doch Aubreys Zeichen – das schon früh keinen Zweifel daran gelassen hatte, dass sie die neue Hüterin der Strickerei sein würde – war weder so harmlos noch so leicht zu erklären wie Mariahs. Ihr Zeichen war anderen Menschen unangenehm. Und es ließ sich nicht verstecken. Auch wenn Aubrey beim Blick in den Spiegel nicht erkennen konnte, was an ihr nicht stimmte, hatte man ihr oft genug gesagt, was andere Leute sahen: Ihre viel zu großen Augen waren von einem so hell strahlenden Blau, dass einem davon beinahe schlecht wurde. Sie waren so blau wie das Ei einer Wanderdrossel, das man in blaue Lebensmittelfarbe getaucht und in metallicblauem Glitzerstaub gewälzt hatte. Ihre Farbe war geradezu aggressiv, und man konnte nicht lange hineinsehen, bevor man den Blick abwenden musste.
    Mittlerweile
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