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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose
Autoren: Jennifer Donnelly
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Premierminister selbst, waren ihm wichtiger als seine Wähler. Denn diesen Männern und Frauen aus Ostlondon verdankte er es, dass er im Jahr 1900 Labour-Abgeordneter geworden war und dass sich daran seit vierzehn Jahren nichts geändert hatte.
    »Tut mir leid, Harry. Wo waren wir stehen geblieben?«, fragte er.
    »Bei der Wasserpumpe«, antwortete Harry Coyne, Bewohner von Nummer 31, Laurison Street, Hackney. »Wie ich gesagt hab, vor einem Monat etwa hat das Wasser angefangen, komisch zu schmecken. Und jetzt ist jeder in der Straße krank. Ich hab mit einem Burschen gesprochen, der unten in der Gerberei arbeitet, und der hat gesagt, sie kippen nachts hinter dem Gebäude fassweise Lauge aus. Weil sich der Meister die Kosten fürs Beseitigen der Brühe sparen will. Unter dem Gebäude verlaufen Wasserleitungen, und ich denke, die Abwässer von der Gerberei sind da reingelaufen. Muss wohl so sein. Es gibt keine andere Erklärung.«
    »Haben Sie das dem Gesundheitsinspektor gesagt?«
    »Dreimal. Der hat nichts getan. Deshalb bin ich zu Ihnen gekommen. Der Einzige, der je was getan kriegt, sind Sie, Mr Bristow.«
    »Ich brauche Namen, Harry«, erwiderte er. »Von der Gerberei. Dem Verantwortlichen. Dem Burschen, der dort arbeitet. Von allen, die krank geworden sind. Werden die mit mir reden?«
    »Bei dem Verantwortlichen aus der Gerberei weiß ich’s nicht, aber der Rest schon«, antwortete Harry. »Geben Sie mir bitte einen Stift.« Während Harry Namen und Adressen aufschrieb, schenkte Joe zwei Tassen Tee ein, schob eine zu Harry hinüber und leerte die andere in einem Zug. Seit acht Uhr morgens hatte er Wähler empfangen, ohne Mittagspause, und jetzt war es halb fünf.
    »Da haben Sie’s«, sagte Harry und reichte Joe die Liste.
    »Danke«, antwortete Joe und goss Tee nach. »Ich fange morgen an, von Tür zu Tür zu gehen. Dem Gesundheitsinspektor statte ich ebenfalls einen Besuch ab. Wir kriegen das geregelt, Harry, das verspreche ich. Wir werden …« Bevor er weitersprechen konnte, ging seine Bürotür abermals einen Spalt auf. »Ja, Trudy. Was ist, Trudy?«, fragte er.
    Aber es war nicht Trudy, sondern eine junge Frau. Groß, mit rabenschwarzem Haar und blauen Augen – eine Schönheit. Sie trug einen elegant geschnittenen anthrazitfarbenen Mantel mit passendem Hut und hielt einen Reporterblock und einen Füller in der Hand.
    »Dad! Mum ist wieder verhaftet worden!«, sagte sie atemlos.
    »Verdammter Mist. Schon wieder ?«, fragte Joe.
    »Katie Bristow, ich hab dir schon hundertmal gesagt, dass du zuerst anklopfen sollst!«, schimpfte Trudy, die ihr auf dem Fuß gefolgt war.
    »Tut mir leid, Miss Mellors«, erwiderte Katie. Dann wandte sie sich wieder ihrem Vater zu. »Dad, du musst kommen. Mum war heute Morgen bei einer Demonstration von Frauenrechtlerinnen. Die sollte eigentlich friedlich verlaufen, ist dann aber in ein wüstes Gerangel ausgeartet, und die Polizei ist dazwischengegangen. Sie wurde festgenommen und angeklagt, und jetzt sitzt sie im Gefängnis!«
    Joe seufzte. »Trudy, rufen Sie die Kutsche bitte. Mr Coyne, das ist meine Tochter, Katharine. Katie, das ist Mr Coyne, einer meiner Wähler.«
    »Sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Sir«, erwiderte Katie und reichte Mr Coyne die Hand. Zu ihrem Vater sagte sie: »Dad, jetzt komm schon! Wir müssen los!«
    Harry Coyne erhob sich und setzte seinen Hut auf. »Gehen Sie nur. Ich find selbst raus«, sagte er.
    »Morgen bin ich in der Laurison Street, Harry«, versprach Joe und wandte sich dann seiner Tochter zu. »Was ist passiert, Katie? Woher weißt du, dass sie im Gefängnis ist?«
    »Mum hat einen Boten nach Hause geschickt. Ach, und Dad? Wie viel Geld hast du bei dir? Weil Mum sagt, du sollst die Kaution für sie und Tante Maud hinterlegen, damit sie entlassen werden können. Aber das kannst du im Gefängnis machen, weil sie direkt dort hingebracht wurden, nicht zum Gericht, und verdammt, ich bin völlig ausgedörrt! Trinkst du das noch?«
    Joe reichte ihr seine Teetasse. »Bist du den ganzen Weg allein hergekommen?«, fragte er streng.
    »Nein, Onkel Seamie ist bei mir und Mr Foster auch.«
    »Onkel Seamie? Was macht der denn hier?«
    »Er wohnt wieder bei uns. Nur für eine Weile, während er in London ist. Hat Mum dir das nicht gesagt?«, antwortete Katie zwischen ein paar Schlucken.
    »Nein«, sagte Joe, beugte sich in seinem Rollstuhl nach vorn und spähte durch seine Bürotür hinaus. Zwischen fünf oder sechs Wählern seines Wahlkreises saß Mr
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