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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose
Autoren: Jennifer Donnelly
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davon erzählen sollen, Miss Franklin. Aber ich wollte warten, bis sie fertig war, verstehen Sie«, sagte sie stolz. »Und hier ist sie, frisch aus der Druckerpresse.«
    »Und was genau ist das, wenn ich fragen darf?«, wollte Miss Franklin mit hochgezogenen Augenbrauen wissen.
    »Meine eigene Zeitung, Madam«, antwortete Katie. »Ich habe sie gerade erst gegründet. Den Druck der ersten Ausgabe habe ich mit meinem Taschengeld finanziert. Aber die Einnahmen aus den Anzeigen werden dazu beitragen, die nächste zu bezahlen. Sie soll eine Stimme für arbeitende Männer und Frauen werden, von ihrem Kampf um gerechte Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und größere politische Mitspracherechte berichten.«
    Katies Zeitung enthielt einen Artikel über die Ablehnung des Premierministers, eine Delegation von Frauenrechtlerinnen zu empfangen, einen weiteren über die haarsträubenden Arbeitsbedingungen in einer Marmeladenfabrik von Milford und einen dritten über den immensen Zulauf bei einer Labour-Kundgebung in Limehouse.
    »Wer hat diese Artikel geschrieben?«, fragte Miss Franklin mit leicht erhobener Stimme und griff sich an die Brosche an ihrem Kragen.
    »Ich, Madam«, antwortete Katie strahlend.
    »Sie haben mit Fabrikarbeitern gesprochen, Miss Bristow? Und mit Radikalen? Sie verfolgten Debatten im Unterhaus? Allein?«
    »O nein. Ich hatte unseren Butler dabei – Mr Foster. Er begleitet mich immer. Und sehen Sie die hier?«, fragte Katie und deutete auf die Anzeigen für männliche Suspensorien und Badesalze für Frauenbeschwerden. »Die hab ich auch selbst akquiriert. Dafür musste ich eine Menge Geschäfte auf der Whitechapel High Street abklappern. Möchten Sie ein Exemplar, Miss Franklin?«, fragte Katie eifrig. »Es kostet bloß drei Pence. Oder vier Shilling für ein Jahresabonnement. Womit Sie gegenüber dem Straßenverkauf einen Shilling und zwei Pence sparen. Ich habe bereits elf Abonnements an meine Mitschülerinnen verkauft.«
    Miss Franklin, unter deren Schülerinnen sich viele privilegierte und behütete Töchter der Aristokratie befanden – Mädchen, die keine Ahnung hatten, dass Männer überhaupt über Körperteile verfügten, die unterstützt werden mussten, oder Frauen an Beschwerden litten, die nur Badesalze lindern konnten –, wurde weiß wie die Wand.
    Sie lehnte Katies Angebot ab und schrieb sofort einen Brief an ihre Eltern, um nachzufragen, ob die außerschulischen Aktivitäten ihrer Tochter an einem anderen Institut vielleicht besser gefördert werden könnten.
    Joe nahm an, dass er zu Katie hätte strenger sein sollen, nachdem sie zum zweiten Mal rausgeflogen war – Fiona war dies jedenfalls –, hatte es aber nicht übers Herz gebracht. Er kannte nicht viele fünfzehnjährige Mädchen, die eine Arbeiterschaft organisieren konnten – wenn auch im kleinen Rahmen – oder eine eigene Zeitung publizierten. Er fand eine neue Schule für sie, wo kein Anstandsunterricht angeboten wurde und die sich mit ihren fortschrittlichen Lehrmethoden brüstete. Eine Schule, der es nichts ausmachte, wenn sie den Französischunterricht versäumte, um der Befragung des Premierministers beizuwohnen, solange sie ihre Hausaufgaben machte und bei den Prüfungen gut abschnitt.
    »Hier, Dad«, sagte Katie jetzt und reichte ihm seine Aktentasche. Joe legte sie auf den Schoß und fuhr mit seinem Rollstuhl los. Katie nahm ihren Block und Füller und folgte ihm.
    Joe war durch eine Kugel seit vierzehn Jahren gelähmt und konnte die Beine nicht mehr bewegen. Ein Mann aus dem East End namens Frank Betts hatte Fionas Bruder Sid – damals selbst ein Krimineller – etwas anhängen wollen. Wie Sid gekleidet, tauchte er in Joes Büro auf und gab zwei Schüsse auf ihn ab. Eine der Kugeln blieb in Joes Rückgrat stecken. Er hatte nur um ein Haar überlebt und mehrere Wochen im Koma gelegen. Als er schließlich wieder zu sich kam, machten ihm die Ärzte keine Hoffnung, in Zukunft ein normales Leben führen zu können. Sie sagten, er würde invalid und für immer ans Bett gefesselt bleiben. Gut möglich, dass er sogar beide Beine verlieren würde. Aber Joe hatte sie Lügen gestraft. Sechs Monate nach dem Überfall nahm er sein gewohntes Leben wieder auf. Er musste zwar den kurz zuvor gewonnenen Sitz für Tower Hamlets aufgeben, aber in der Zwischenzeit war der Abgeordnete für Hackney gestorben, und eine Nachwahl wurde anberaumt. Joe zog erneut in den Wahlkampf, diesmal im Rollstuhl. Er gewann den Sitz für die Labour-Partei
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