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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose
Autoren: Jennifer Donnelly
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und hatte ihn seitdem auch nicht mehr verloren.
    Im Wartezimmer erklärte Joe den dort anwesenden Bittstellern, was seiner Frau passiert war. Er entschuldigte sich und bat sie, gleich am nächsten Morgen wiederzukommen. Alle waren einverstanden, bis auf eine Gruppe Kirchenvertreterinnen, die sich über die in ganz Hackney verteilten Plakate erregten, auf denen für eine anzügliche neue Musikrevue namens Prinzessin Zema und die Nubier vom Nil geworben wurde .
    »Das Mädchen hat ungefähr so viel Kleider am Leib wie am Tag seiner Geburt«, sagte eine aufgebrachte Dame, eine Mrs Hughes.
    »Ich muss meinen Enkelkindern die Augen zuhalten, wenn sie unsere Straße entlanggehen«, rief Mrs Archer. »Wir haben den deutschen Kaiser, der Krawall schlägt, und Mrs Pankhurst und ihre Bande wirft Fensterscheiben ein. Unsere jungen Mädchen rauchen und fahren im Automobil, und um allem die Krone aufzusetzen, haben wir jetzt auch noch nackte Ägypterinnen in Hackney! Ich frage Sie, Mr Bristow, wo soll das alles noch hinführen?«
    »Ich weiß es nicht, Mrs Archer, aber ich versichere Ihnen, mich persönlich dafür einzusetzen, dass diese Plakate bis Ende der Woche entfernt worden sind«, antwortete Joe.
    Nachdem er die Frauen besänftigt und sie sein Büro verlassen hatten, nahmen Joe, Katie, Seamie und Mr Foster den Fahrstuhl nach unten, wo Joes Kutsche wartete. Eine weitere Droschke, mit der Katie und ihre Begleiter hergekommen waren, wartete dahinter.
    »Danke, dass du mir Bescheid gegeben hast, mein Schatz«, sagte er und drückte ihre Hand. »Ich sehe dich dann zu Hause.«
    »Aber ich fahre nicht nach Hause, ich komme mit«, erwiderte Katie.
    »Katie, Holloway ist ein Gefängnis. Keine Labour-Kundgebung oder Marmeladenfabrik. Es ist ein schrecklicher Ort und für ein fünfzehnjähriges Mädchen nicht geeignet«, sagte Joe entschieden. »Deine Mutter und ich werden bald nach Hause kommen.«
    »Nein! Ich gehe nicht nach Hause! Du behandelst mich wie ein Kind, Dad!«, erwiderte Katie aufgebracht. »Die Wahlrechtsbewegung beeinflusst auch meine Zukunft. Es ist Politik. Es geht um Frauenrechte. Hier wird Geschichte geschrieben. Und da soll ich nicht dabei sein dürfen? Ich möchte über die Demonstration, die Verhaftungen und über Holloway selbst in meiner Zeitung berichten, und deinetwegen soll mir das entgehen!«
    Joe wollte Katie schon einfach nach Hause beordern, als Mr Foster sich räusperte. »Sir, wenn ich mir eine Bemerkung erlauben dürfte«, begann er.
    »Als wenn ich Sie davon abhalten könnte, Mr Foster«, entgegnete Joe.
    »Miss Katharine bringt ein sehr überzeugendes Argument vor. Es geht um eine Qualifikation, die ihr meiner Ansicht nach eines Tages im Parlament sehr wohl von Nutzen sein könnte. Es wäre doch ein bemerkenswerter Pluspunkt für die erste weibliche Abgeordnete, wenn sie von sich behaupten könnte, an vorderster Front für das weibliche Stimmrecht gekämpft zu haben.«
    » Ihn hast du schon um den Finger gewickelt, nicht wahr?«, stellte Joe an seine Tochter gewandt fest.
    Katie erwiderte nichts, sondern sah ihren Vater nur hoffnungsvoll an.
    »Also gut, dann komm mit«, lenkte Joe schließlich ein.
    Sie klatschte in die Hände und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
    »Wollen mal sehen, ob du in Holloway immer noch so fröhlich bist. Sag nicht, dass ich dich nicht gewarnt hätte.«
    »Brauchst du Hilfe, Joe?«, fragte Seamie. »Ich komme mir hier ein bisschen nutzlos vor.«
    »Durchaus«, antwortete Joe. »Und auch noch etwas Geld, denn es sieht ja ganz danach aus, als müsste ich das halbe Gefängnis befreien. Hast du was bei dir?«
    Seamie sah in seine Brieftasche und reichte Joe zwanzig Pfund. Joe bat Mr Foster, die zweite Kutsche nach Hause zu bringen.
    »Sicher, Sir«, antwortete Mr Foster. »Und ich sorge dafür, dass das Dienstmädchen eine Kanne Tee bereithält.«
    »Gut«, sagte Joe.
    Er, Seamie und Katie stiegen in seine Kutsche, ein Fahrzeug, das eigens zum Transport seines Rollstuhls angefertigt worden war, und fuhren dann nach Westen in Richtung Gefängnis los. Kurz darauf erreichten sie London Fields, den Park, wo die Demonstration geendet hatte. Während sie bis dahin in ein Gespräch vertieft gewesen waren, verstummten sie mit einem Mal, als die Droschke an dem Park vorbeirollte.
    »Du meine Güte!«, stieß Joe aus, als er aus dem Fenster sah.
    Wohin man auch blickte, überall Zerstörung. Die Fenster eines Pubs und mehrerer Häuser waren eingeschlagen. Die Karren von
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