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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose
Autoren: Jennifer Donnelly
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mir wirklich wünschte, ich wäre aus anderen Gründen zurückgekehrt.«
    »Es wird schon alles gut mit ihm, Eddie«, beruhigte Seamie sie.
    Eddie seufzte. »Das hoffe ich. Aber ich kenne meine Schwester. Sie hätte mich nie gebeten zurückzukommen, wenn sie sich nicht schreckliche Sorgen machte.«
    Seamie wusste, dass Albies Mutter, die Schwester von Eddie, dieser nach Aleppo telegrafiert und sie gebeten hatte, nach England zurückzukehren. Admiral Alden, ihr Ehemann, war an irgendwelchen Magenproblemen erkrankt. Seine Ärzte hatten noch nicht feststellen können, was ihm fehlte, aber was es auch sein mochte, es war es schlimm genug, um ihn mit schweren Schmerzen ans Bett zu fesseln.
    »Der ist aus hartem Holz geschnitzt«, sagte Seamie. »Wie alle Aldens.«
    Eddie nickte und versuchte ein Lächeln. »Du hast natürlich recht. Aber jetzt ist genug Trübsal geblasen. Ich muss mich ums Frühstück kümmern und den Glaser anrufen. Und den Gärtner. Und den Kaminkehrer. Albie hat in meiner Abwesenheit rein gar nichts getan. Das Haus ist staubig. Meine Post stapelt sich bis zur Decke. Und in der ganzen Küche gibt es keinen einzigen sauberen Teller. Warum lässt er nicht dieses Mädchen aus dem Dorf zum Saubermachen kommen?«
    »Er sagt, sie stört ihn.«
    Eddie schnaubte verächtlich. »Ich verstehe wirklich nicht, wie sie das könnte. Er verlässt sein Arbeitszimmer doch nie. Als ich vor zwei Monaten abfuhr, steckte er da drinnen. Und jetzt immer noch und schuftet härter als je zuvor, obwohl er eigentlich ein Freisemester hat. Und jetzt hat er noch zwei andere Superschlaue bei sich. Ich habe sie gerade kennengelernt. Dilly Knox heißt der eine. Und Oliver Strachey. Überall liegen Bücher, Tafeln und Schaubilder verstreut. Was, um alles in der Welt, machen die bloß da drinnen? Was kann denn so faszinierend sein?«
    »Ihre Arbeit?«
    »Wohl kaum. Es sind doch bloß Zahlen und Formeln«, sagte Eddie verächtlich. »Der Junge braucht eine Frau. Sogar noch dringender als du, würde ich sagen. Er ist viel zu versponnen und zerstreut. Wie kommt es bloß, dass hinter dir viel mehr Frauen her sind, als dir guttut, und hinter dem armen Albie keine einzige? Kannst du nicht ein paar von deinen Verehrerinnen an ihn abtreten? Er braucht eine gute Frau. Und Kinder. Ach, wie schön wäre es doch, wieder das Lachen von glücklichen Kindern in meinem Haus zu hören. Wie herrlich waren die Jahre, als Albie und Willa noch klein waren und meine Schwester sie herbrachte, als sie im Teich schwammen und an diesem alten Baum schaukelten – genau an dem da«, sagte Eddie und deutete auf die alte Eiche vor dem Schlafzimmerfenster. »Willa ist immer so hoch hinaufgeklettert. Meine Schwester flehte sie an runterzukommen, aber das tat sie nicht. Sie kletterte immer nur noch höher hinauf und …«
    Eddie brach plötzlich ab, drehte sich um und sah Seamie an.
    »Ach, du meine Güte. Ich hätte nicht von ihr sprechen dürfen. Verzeih mir bitte.«
    »Ist schon gut«, erwiderte Seamie.
    »Nein, ist es nicht. Ich … ich nehme nicht an, dass du in letzter Zeit einen Brief von ihr erhalten hast, oder? Ihre Mutter zumindest nicht. Jedenfalls nicht in den letzten drei Monaten. Dabei schreibt sie ihr zweimal die Woche. Um ihr Nachricht über ihren Vater zukommen zu lassen. Na ja, wahrscheinlich ist der Briefverkehr zwischen Tibet und England eine ziemlich knifflige Angelegenheit.«
    »Wahrscheinlich. Und nein, ich habe nichts von ihr gehört«, sagte Seamie. »Aber das habe ich ja nie. Seit sie aus Afrika weggegangen ist. Ich weiß auch nicht mehr als du. Nur, dass sie in Nairobi fast gestorben wäre. Dass sie danach durch den Fernen Osten gereist ist. Und dass sie sich jetzt im Himalaja aufhält und nach einer Möglichkeit sucht, um die Sache zu Ende zu bringen.«
    Eddie zuckte zusammen bei seinen Worten. »Du trauerst ihr immer noch nach, nicht wahr? Deshalb dein Verschleiß an Frauen. Eine nach der anderen. Weil du nach einer suchst, die Willas Platz einnehmen könnte. Aber die findest du nicht.«
    Und das werde ich auch nie, dachte Seamie. Er hatte Willa, die Liebe seines Lebens, vor acht Jahren verloren und, sosehr er sich auch bemühte, nie eine Frau gefunden, die ihr hätte das Wasser reichen können. Keine andere Frau besaß Willas Lebens- und Abenteuerlust. Keine andere Frau besaß ihren Mut oder ihren leidenschaftlichen, kühnen Geist.
    »Es ist alles meine Schuld«, sagte Seamie. »Sie wäre nicht dort, Tausende von Meilen von ihrer Familie,
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