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Die Wiederkehr des gefallenen Engels

Die Wiederkehr des gefallenen Engels

Titel: Die Wiederkehr des gefallenen Engels
Autoren: Rainer Wekwerth
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Andere sterben, in diesem Augenblick. Für manche ist heute der schönste Tag in ihrem Leben, für andere der traurigste, aber die Erkenntnis aus alldem ist, das Leben hält nicht an. Nicht einen Atemzug. Solange man atmet, will es gelebt werden, auch wenn das nicht stets die reine Freude ist.«
    »Vermisst du Opa?«
    Ihre Großmutter sah überrascht auf. »Ja, natürlich tue ich das. Wir haben so lange zusammengelebt, dass ich manchmal das Gefühl habe, vor ihm war nichts, kein Leben, keine Vergangenheit. Ich vermisse ihn jeden Tag.«
    »Du weinst nie«, sagte Lara und bereute diesen Satz sofort, aber ihre Oma lächelte.
    »Man muss nicht weinen, um jemanden zu betrauern.« Martha fuhr sich durch das noch immer dichte Haar. »Außerdem bist du nicht ständig da.«
    »Du beherrschst dich, wenn du mit anderen zusammen bist«, stellte Lara fest.
    »In meiner Generation hat man gelernt, Gefühle nicht nach außen zu tragen. Es ist anders als bei euch Jugendlichen heute. Ich schalte den Fernseher an und sehe Jungs weinen und Mädchen fluchen. Das hätte es zu meiner Zeit nicht gegeben.«
    »Was hätte es zu deiner Zeit nicht gegeben?«, erklang eine Stimme in der Tür.
    Lara sprang auf und umarmte ihre Mutter herzlich.
    »He, womit habe ich das verdient?«, fragte Rachel.
    Statt einer Antwort gab es einen dicken Kuss auf die Wange.
    »Was hast du in das Essen gemischt, Mutter?«, lachte Rachel. Sie schnupperte. »Ah, Spaghetti Carbonara. Jetzt wundert mich nichts mehr. Ist noch etwas übrig oder hat Lara alles vertilgt?«
    Martha lächelte. »Es ist noch genug da. Zieh den Mantel aus und setz dich. Ich bringe dir das Essen.«
    Rachel Winter schälte sich aus ihrem Mantel, ging in die kleine Speisekammer, die direkt neben der Spüle war, holte eine Flasche Rotwein, entkorkte sie und schenkte für sich und ihre Mutter ein.
    »Willst du auch ein Glas?«, wandte sie sich an ihre Tochter.
    »Du bietest mir am helllichten Tag Alkohol an?«, fragte Lara verblüfft. »Was ist jetzt los? Gibt es etwas zu feiern?«
    »Hm, lass mich erst einmal essen, ich bin halb verhungert.«
    »Mama!«
    Ihre Oma stellte einen dampfenden Teller vor Rachel ab und nahm ebenfalls wieder Platz.
    »Ach, riecht das gut«, seufzte Rachel und begann, genüsslich zu essen. »Und es schmeckt hervorragend«, fügte sie mit vollem Mund hinzu.
    »Was ist jetzt?«, wollte Lara wissen. »Du kannst uns nicht so lange auf die Folter spannen.«
    Ihre Mutter grinste, tupfte sich mit einer Serviette den Mund ab und faltete die Hände auf dem Tisch.
    »Thorsten hat mir heute eine wichtige Frage gestellt.«
    »Dein neuer Freund?«, fragte Oma.
    »Mein Bekannter, den ich sehr mag.«
    »Oh Gott, er hat dich gefragt, ob du ihn heiraten willst?«, stöhnte Lara. »Mama, ihr kennt euch …«
    »Quatsch. Wir haben uns ein paarmal verabredet und aus der Sache könnte etwas werden. Das spüre ich und ich denke, er fühlt es auch. Jedenfalls hat er mich gefragt, ob ich nicht nächste Woche für sieben Tage mit ihm nach Florida fliegen will. Er muss dort beruflich hin, irgendeine Tagung, hat aber viel Freizeit und da wollte er wissen, ob wir die Zeit in den USA nicht gemeinsam genießen wollen.«
    »Und was hast du geantwortet?«, fragte Lara atemlos nach.
    »Dass ich erst mit dir reden muss.«
    Lara fuhr sich entsetzt mit beiden Händen in die Haare. »Was? Bist du verrückt? Sonne, Strand und blaues Meer, zusammen mit einem Mann, in den du verknallt bist, und du sagst nicht sofort zu?«
    »Ich wollte mit dir darüber sprechen. Ich lasse dich nicht gern allein.«
    »Mama, ich bin achtzehn Jahre alt, ich darf ein Auto lenken und den Bundestag wählen, in ein paar Wochen mache ich mein Abitur, dann fange ich an zu studieren, aber ich kann nicht mal ein paar Tage allein zu Hause bleiben? Außerdem ist Oma da.«
    Hilfe suchend blickte Rachel zu ihrer Mutter.
    »Das Kind hat recht«, sagte Martha. »Allzu viele Chancen, sein Glück zu finden, gibt es nicht im Leben. Außerdem solltest du froh darüber sein, der Kälte für einige Zeit zu entkommen.«
    Lara bemerkte den sorgenvollen Blick, den ihre Mutter der Großmutter zuwarf. Eine Frage schien in diesem Blick mitzuschwingen. Noch seltsamer war die Reaktion ihrer Oma, die kaum merklich nickte. Irgendwie hatten die beiden Fragen und Antworten ausgetauscht und Lara hatte dabei das Gefühl, dass es um sie ging. Seit sie aus Berlin zurückgekehrt war, wurde sie von ihrer Mutter regelrecht betüdelt, und bei ihrer Oma hatte sie
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