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Die Wiederkehr des gefallenen Engels

Die Wiederkehr des gefallenen Engels

Titel: Die Wiederkehr des gefallenen Engels
Autoren: Rainer Wekwerth
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gar nicht sein. Mir ist klar, um was es dir geht. Du willst von mir einfach nur Zuspruch. Ermutigung dazu, dass du dich wieder mit ihm einlässt, aber ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache. Ben ist immer noch Ben, so schnell ändert der sich nicht und dann wird es enden wie beim letzten Mal.«
    »Noch ist ja nichts passiert. Wir reden doch bloß darüber.«
    »Ja und genau die Tatsache, dass wir überhaupt darüber reden, verursacht mir Bauchschmerzen. Weiß Jasmin schon von eurer neu entflammten Liebe?«
    »Nein«, sagte Lara.
    »Na, die wird ihren Spaß haben.«
    Der Schulgong rief sie zum Unterricht.
    »Na los, wir müssen rein«, meinte Simone.
    »Noch ein halbes Jahr, dann haben wir es geschafft«, wechselte Lara das Thema.
    »Wenn wir es packen«, gab Simone zu bedenken.
    Lara lachte. »Klar packen wir das!«

2.
    Als Martha Hermsdorf die Tür für ihre Enkelin öffnete, wehte der Wind tanzende Schneeflocken hinein. Martha warf einen Blick zum Himmel und seufzte. Dieser Winter war unglaublich. Schnee, Schnee und nochmals Schnee. Längst kamen die städtischen Streu- und Räumdienste nicht mehr hinterher. Gehwege verschwanden ebenso unter der weißen Last wie Straßen, durch die sich der Verkehr nur langsam quälte. Tiefe, vereiste Furchen waren die einzige Spur, durch die man noch langsam rollen konnte, der Rest ging nahtlos in die weiße Winterlandschaft über.
    »Du kommst spät«, meinte Martha vorwurfsvoll. »Das Essen ist schon fast kalt.«
    »Oma!«, entgegnete Lara entrüstet. »Schau mal raus. Da draußen geht die Welt unter und die Busse kommen kaum durch, aber du machst mir Vorwürfe, weil ich ein paar Minuten zu spät bin.«
    Lara schob den Ärmel ihrer Jacke hoch und blickte auf ihre Armbanduhr.
    »Zehn Minuten. Bloß zehn Minuten.«
    Sie zog den Ärmel wieder herunter und schlüpfte aus der Jacke. Dann streifte sie die Stiefel ab, stellte sie unter die Garderobe und klopfte den Schnee von ihrer Jeans.
    »Schau mal, was du für eine Sauerei machst«, beschwerte sich Martha. »Ich habe vor einer halben Stunde gewischt.«
    Lara verharrte mitten in der Bewegung. Ihre Augen funkelten wütend.
    »Geht das jetzt immer so weiter?«, zischte sie. »Ständig diese Meckerei. ›Du kommst zu spät, Lara‹ oder ›Du machst alles dreckig‹. Es ist Winter! Da kommen Busse nicht pünktlich. Man verspätet sich. Und zum Teufel …«
    »Sprich nicht so mit …«
    »… das bisschen Schnee tut keinem weh. Es ist bloß Wasser, Oma. Hörst du mich? Wasser! Man kann es aufwischen, es bleibt nicht für die Ewigkeit.«
    Martha Hermsdorf zügelte ihren Zorn und sagte leise: »Ich kann etwas Rücksicht von dir erwarten, junge Dame …«
    »Komm mir nicht so, Oma«, stöhnte Lara. »Nicht die Junge-Dame-Nummer. Du weißt, ich hasse es, wenn du mir auf die Tour kommst.«
    Martha war nun ebenfalls wütend. »Dann verhalte dich respektvoller. So kannst du vielleicht mit deinen Freundinnen sprechen, aber nicht mit mir.«
    »Dann hör auf, mich wie ein kleines Kind zu behandeln.«
    Beide starrten sich an. Zehn Sekunden vergingen. Irgendwie verflog der ganze Ärger auf einen Schlag.
    »Was gibt’s zu essen?«, fragte Lara und prustete los.
    »Dein Lieblingsgericht, du verzogenes Gör.«
    »Und du? Hör auf, dich wie eine alte Hexe zu benehmen.«
    »Fängst du schon wieder an.«
    »Nein«, entgegnete Lara lachend und legte einen Arm um ihre Großmutter. »Wenn es Spaghetti Carbonara gibt, muss alles andere warten.«
     
    Lara blickte über den Küchentisch hinweg ihre Oma an. Obwohl sie noch immer eine attraktive Frau war, hatten sich doch in letzter Zeit deutlich mehr Falten in ihr Gesicht gegraben. Ein Spinnennetz aus feinen und feinsten Fältchen spannte sich um ihre Mundwinkel und zersprang bei jedem Lächeln. Und sie lächelte viel.
    Sie hat eine schwere Zeit hinter sich. Ihre eigene Krebserkrankung und Opas Tod, dachte Lara. Sie ist eine starke Frau und ich hoffe, ich werde mal so wie sie. Stolz und mit viel Ausstrahlung.
    »Schmeckt es dir nicht?«, fragte Martha.
    »Oh und wie. Ich habe nur gerade nachgedacht.«
    Ihre Oma forderte sie mit einem Kopfnicken auf weiterzusprechen.
    »Über dich«, gab Lara zu.
    »Mich?«, wiederholte Martha überrascht.
    »Ja, ich finde es erstaunlich, wie du dein Leben meisterst seit …« Sie verstummte.
    »Opas Tod?«
    »Ja.«
    Martha blickte sie ernst an. »Auch wenn es banal klingt, das Leben geht weiter. Im wahrsten Sinn des Wortes. Menschen werden geboren, in diesem Augenblick.
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