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Die Welt auf dem Kopf

Die Welt auf dem Kopf

Titel: Die Welt auf dem Kopf
Autoren: Milena Agus
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Ausgerechnet er, der ein Kind gezeugt hat, um es dann zu ruinieren? Weißt du, dass sich der Junge jetzt doch entschlossen hat, mit seinem Vater und diesem Omar nach Paris zu ziehen?«
    Jetzt würde also auch noch Giovannino weggehen, dachte ich, so wie alle, die ich liebte.
    Giovannino kam auf uns zu. »Heute tosen die Wellen!«, rief er, aber ich konnte ihn kaum verstehen. Ich wünschte, nicht mehr zu existieren, nie geboren zu sein. Mein Blick glitt zu meinen Schuhen neben meinem Handtuch, und ich stellte sie mir für immer ohne meine Füße vor, für immer leer. Die Welt kann von einem Augenblick auf den anderen untergehen.

Sechs
    J ohnson junior hatte mich schon mehrmals sprechen wollen. Ich hob nicht ab, wenn er anrief, und machte nicht auf, wenn er an der Tür klingelte. Schließlich schickte er Giovannino zu mir.
    »Alice! Alice!«, hörte ich ihn durch die Tür rufen. »Alice, ich weiß, dass du da bist und mich und Papa nicht mehr sehen willst. Aber ich habe wirklich nicht nur so getan, als ich gesagt habe, dass Cagliari die schönste Stadt der Welt ist und dass ich für immer hierbleiben möchte. Und ich habe auch nicht gelogen, als ich gesagt habe, dass du für mich meine Mama bist. Aber ich will trotzdem dahin gehen, wo mein Vater hingeht. Es stimmt nicht, dass er schlecht ist, wie du und Großmutter Urgu sagen.«
    »Seit wann nennst du sie denn Großmutter Urgu?«
    »Papa hat gesagt, dass sie jetzt nicht mehr GroßmutterJohnson ist, Annina ist jetzt Großmutter Johnson. Papa hat auch gesagt, dass du mit uns nach Paris kommen kannst, wenn du willst. Du musst nicht arbeiten, sondern kannst studieren, weil er und Omar genug verdienen und es auch für dich und mich reicht.«
    »Sag ihm, ich denke darüber nach. Aber der Gedanke, jemandem auf der Tasche zu liegen, gefällt mir nicht. In Cagliari komme ich mit dem Geld aus, das mir zur Verfügung steht, aber in Paris bestimmt nicht.«
    Ich hörte durch die Tür, wie er lachte.
    »Warum lachst du?«
    »Weil Papa wusste, dass du das sagen würdest. Er meint, dass du diese Gerichte, die du immer zubereitest, beisteuern kannst, deine schwitzigen Braten, die feuchten Omeletts und die Gemüsesuppen, in denen nur ein paar wenige Gemüseschnipsel schwimmen.«
    Ich konnte mich einfach nicht entscheiden. Sollte ich mit ihnen nach Paris gehen? Oder zu Mrs. Johnson in den oberen Stock ziehen? Oder zu Mama ins Dorf zurück, die wenngleich sie verrückt, wenigstens meine richtige Mutter war?
    Unterdessen nahmen Mrs. Johnson, Giovannino und ich unsere Spaziergänge am Poetto-Strand wieder auf.
    Während Mrs. Johnson und ich eines Tages Seite an Seite auf unseren Handtüchern am Strand saßen, sagte ich zu ihr: »Giovannino nennt dich jetzt Großmutter Urgu.«
    »Das ist mein Mädchenname. Sein Vater will, dass er sich daran gewöhnt, die Dinge beim Namen zu nennen, und ichheiße ja jetzt tatsächlich nicht mehr Johnson, sondern wieder Urgu.«
    »Ich spiele mit dem Gedanken, mit ihnen nach Paris zu gehen.«
    » Ma petite fille … Und hältst du das für eine gute Idee?«
    »Sie sagen, es sei überhaupt kein Problem. Sie würden einfach ein bisschen näher zusammenrücken. Laut Omar, oder besser gesagt laut dem Propheten Mohammed, werden, wo zwei satt werden, auch drei satt. Und wo drei satt werden, werden auch vier satt, und so weiter.«
    »Sicher. Warum gehen wir nicht gleich alle nach Paris, ich, Levi, Annina, Natascha, ihr Verlobter, le petit bébé , und dann auch gleich noch deine Mama und das Mädchen, das sich um sie kümmert? Wo ist das Problem? Und damit wir alle etwas zu essen haben, strecken wir die Suppe eben mit Wasser. Couper la soupe! Mein liebes Mädchen, lass dir von Großmutter Johnson, oder besser Großmutter Urgu, gesagt sein: Was willst du in Paris bei einem Mann, der nicht dein Mann ist, einem Kind, das nicht dein Kind ist, und diesem Omar, der nicht dein Schwager ist? Du schreibst doch gern, nennst dich sogar Alice, dann schreib dir doch dein Märchen selbst und nenn es meinetwegen ›Alice hinter den Spiegeln‹, aber bau dir ein normales Leben auf mit einer normalen Familie.«
    »Und was ist bitte schön normal?«, fragte ich.
    »Das, was die Mehrheit der Menschen tut! Normal ist man, wenn man ungefähr so ist wie die anderen.«
    »Nein, weil wenn man verrückt ist und sich in einer Irrenanstalt befindet, ähnelt man ja auch den anderen, obwohl man nicht normal ist.«
    »Gut, dann ist normal eben das, was natürlich ist.«
    »In der Natur gibt es
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