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Die Welt auf dem Kopf

Die Welt auf dem Kopf

Titel: Die Welt auf dem Kopf
Autoren: Milena Agus
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dass du eines Tages ebenfalls dieses unvorstellbare Glück empfinden wirst, das einen überkommt, wenn jemand anders glücklich mit einem ist. Meine Frau hatte mich sehr gern, aber ab einem gewissen Punkt begann ihr alles, was ich tat oder sagte, zu missfallen. Alles an mir irritierte sie, meine Art zu gehen, wie ich am Tisch saß, meine Zerstreutheit. Lauter Kleinigkeiten, könnte man meinen. Und so gelangte ich immer mehr zu der Überzeugung, dass es Zeit war zu gehen. Irgendwann begann ich,von einem schwarzen Vogel zu träumen, der wie eine Kakerlake aussah. Jemand ergriff ihn, um ihn zu töten, und der Vogel machte »Krak«, bevor er starb. Doch er kam Nacht für Nacht wieder, was bedeutete, dass er jeden Morgen wiederauferstand, um erneut lästig zu fallen. Und dieser Vogel war ich. Solange ich Erfolg hatte, verzieh mir meine Frau alles. Aber ich wusste, dass es früher oder später vorbei sein würde. Ich war kein Violinist. Ich spielte einfach nur Geige. Und je früher es ein Ende hatte, umso besser. Und so bin ich aus diesem Teufelskreis abgesprungen.«
    »Aber warum haben Sie dann eingewilligt, das Konzert zu geben, Mr. Johnson?«
    »Weil ich wieder in der Lage dazu war. Anna hätte mich so oder so lieb gehabt, auch wenn man mich mit faulen Tomaten beworfen hätte.«
    »O ja, ganz bestimmt. Sie war so glücklich mit Ihnen. Und sie war so schön, aber jetzt ist sie krank und ausgemergelt und zittrig. Sie wissen doch, dass sie am Herzen operiert werden müsste?«
    »Mein Sohn hat es mir erzählt. Und wenn sie einverstanden ist, werde ich mit ihr nach Amerika reisen. Die Operation an sich ist nicht schwierig, aber das Alter ist ein Problem, fünfundsechzig Jahre darf man nicht unterschätzen.«
    »Wer hat Ihnen gesagt, dass sie fünfundsechzig ist?«
    »Mein Sohn.«
    »Wann?«
    »Als er es erfahren hat.«
    Und dann verabschiedete er sich mit einem leichten Nicken, dieser angedeuteten Verbeugung, wie sie ein Musiker am Ende eines Konzerts macht.
    Aber am nächsten Tag kam er wieder, in der einen Hand einen Koffer, in der anderen die Geige, und es war für mich ein merkwürdiges Gefühl, dieser Szene beizuwohnen: als würde ich in einen strahlend blauen Himmel blicken, allerdings von einem Friedhof aus.
    »Es hat nicht sollen sein!« Anna streckte ihm die Arme entgegen.
    »Wenn du mich noch willst«, sagte der Signore von oben und stürzte sich in ihre Arme. »Hier bin ich. Mit nichts als meiner Geige. Ich komme, um mit dir hier unten zu leben, in deiner Wohnung.«
    »Ich mag dich auch ohne Besitztümer. Wir sind wichtiger als irgendwelche Dinge. Aber deine Frau tut mir leid. Und wegen dir tut es mir auch leid. Weil du jetzt auf deine schönen Dinge und all die Annehmlichkeiten verzichten musst.«
    »Ich fand schon immer, dass ich diese schönen Dinge und Annehmlichkeiten gar nicht verdient hatte. Meine Frau ist reich. Ihr gehört alles. Und dass mir dieser Besitz zufiel, beruhte auf einem Missverständnis. Sie liebte einen Violinisten, dabei spielte ich doch einfach nur Geige. Ich werde immer nur jemand sein, der Geige spielt und damit zufrieden ist. Also, darf ich bei dir einziehen? Letztlich spielt es keine Rolle, auf welchem Fensterbrett man mit den Fingern eine Melodie trommelt.«
    »Aber ich bin hässlich geworden. Meine Brust ist verwelkt. Und ich habe so dunkle Augenringe bekommen, dass man meinen könnte, die Schminke wäre verschmiert.«
    »Bist du verrückt? Von wegen verwelkte Brust. Und verschmierte Augen. You are lovely . Wie immer.«

Zwei
    U nd so kam es, dass der Signore von oben in die untere Wohnung zog.
    Es wurde Sommer, und wir warteten auf den Herbst, wenn es kühler würde und Anna operiert werden sollte. In der Zwischenzeit überlegten wir, wie wir die untere Wohnung für den neuen Bewohner umgestalten konnten.
    Eines Tages sagte Johnson junior zu mir: »Die Kinderärztin hat mich gefragt, ob mein Sohn außer mir noch jemanden hat, das heißt, ob, wenn ich mal nicht mehr sein sollte – was so abwegig ja nicht ist, schließlich bin ich kein junger Vater mehr –, es jemand Jüngeres gibt, der sich um ihn kümmern kann. Zunächst ist mir niemand eingefallen. Doch dann habe ich an dich gedacht. Wärest du bereit, dann sein Vormund zu sein?«
    »Aber nur, wenn du versprichst, nicht zu sterben.«
    »Versprochen. Ich habe ein dickes Fell. Angesichts all der Schläge, die ich schon einstecken musste, dürfte ich eigentlich keinen einzigen heilen Knochen mehr haben. Aber mir fehlt gar
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