Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Welt auf dem Kopf

Die Welt auf dem Kopf

Titel: Die Welt auf dem Kopf
Autoren: Milena Agus
Vom Netzwerk:
nichts.«
    »Wer hat dich denn verhauen?«
    »Meine Schulkameraden auf sämtlichen Schulen, die ich besucht habe, später dann meine Kommilitonen auf dem College, ob in Italien, Amerika oder Frankreich, egal, wo ich hinkam, überall war es das Gleiche.«
    »Warum denn?«
    »Auf welchem Planeten lebst du eigentlich, Pasticcio? Natürlich weil ich schwul bin.«
    »Und wie haben sie es herausgefunden?«
    »Sie haben es eben gemerkt. Alle merken es, außer dir, meine Alice im Wunderland.«
    »Und warum hast du mir nicht gesagt, dass du schwul bist?«
    »Weil ich bin, wer ich bin, schwul hin oder her. Ich bin einfach nur ich. Und wenn ich nicht Johnson hieße, wäre ich noch immer ich, oder nicht? Und wenn ich nicht in Amerika geboren wäre, dann wäre ich noch immer ich, oder nicht? Sobald die Menschen wissen, dass man schwul ist, scheint sie nichts anderes mehr zu interessieren. Wie auf dem Einwohnermeldeamt, wo sie nur den Namen, Nachnamen, Geburtstag und Geburtsort wissen wollen, wenn man einen Ausweis beantragt, ohne auch nur einmal den Kopf zu heben und einen anzuschauen.«
    »Vielleicht hast du recht. Hast du immer gewonnen, wenn die anderen dich verprügelten?«
    »Immer. Wenn nicht mit den Händen, dann mit dem Kopf.«
    »Du bist einfach der Wahnsinn, Johnson junior, ob schwul oder nicht, Amerikaner oder nicht, ob du nun Johnson heißt oder nicht!«
    Mrs. Johnson klingelte ebenfalls wieder an meiner Tür. Sie fragte, ob sie, falls sie nicht störe, hereinkommen und ein wenig mit mir plaudern könne und ob wir uns nicht duzen wollten, aber ich brachte es einfach nicht fertig, sie zu duzen.
    »Ich mache mir Sorgen wegen Giovannino«, sagte sie. »Er wehrt sich einfach nicht.«
    »Aber wieso soll er sich denn wehren, wenn ihm doch niemand etwas tut?«
    »Er sagt, dass sie ihm nichts tun, aber den anderen Kindern schon. Und wenn ich ihn dann frage, warum sie den anderen wehtun, ihm aber nicht, sagt er: ›Keine Ahnung.‹ Ich mache mir Sorgen, weil das einfach nicht sein kann, wahrscheinlich merkt er nur nicht, dass sie ihm wehtun. Ich fürchte, dass sie über seinen Vater Bescheid wissen, wenn nicht die Kinder, dann zumindest deren Eltern. Ich fürchte, dass die anderen ihn links liegen lassen. Ich fürchte, dass sie ihm nur nichts tun, weil er in ihren Augen nicht dazugehört. Ich weiß, dass mein Sohn ihn unzählige Male mit seinem Freund von der Schule abgeholt hat. Das ist doch unglaublich!«
    Aber dann ging Mrs. Johnson in die Elternsprechstunde und kam einigermaßen verwirrt zurück. Die Lehrerin hatte ihr nämlich gesagt, dass Giovannino der Beschützer der Schwachen sei, dass sie die verwahrlosesten Schüler neben ihn setze, weil Giovannino die Schwächsten beschütze. Denn er achte jedes Kind, und das hänge mit seiner reifen Weltanschauung zusammen, und wenn es einmal unvermeidbar sei, der Verteidigung wegen anzugreifen, gelinge es ihm sofort, den Streit zu schlichten, und er sei im Nu wieder vergessen. Er sei ein großartiger Junge. Allerdings merke man, dass er nur mit seinem Vater aufwachse, und die einzige Sorge, die man möglicherweise haben muss, sei, dass sich seine guten Eigenschaften eines Tages in Machismo verwandelten. »Machismo?«, wiederholte Mrs. Johnson kopfschüttelnd und musste beinahe lachen. »Hat man je etwas derart Absurdes gehört?«
    Mrs. Johnson war völlig verwirrt, ihre Gedanken gingen drunter und drüber.
    Wie auch immer, als sich schließlich der Freund ihres Sohnes wieder in Cagliari aufhielt, bestand sie darauf, dass ich zum Abendessen zu ihnen käme. Zusammen mit ihrer Haushälterin wollte sie die köstlichsten sardischen Spezialitäten zubereiten, wie zum Beispiel eine Fischsuppe auf oristanische Art oder arselle alla schiscionera – Venusmuscheln aus dem Golf von Oristano – und sebadas – frittierte und mit heißem Honig übergossene Käseteigtaschen.
    Am nächsten Abend klingelte sie zum ersten Mal seitLevi Johnsons Einzug in Annas Wohnung an deren Tür. Er ließ sie herein, und sie entschuldigte sich mehrmals, ehe sie sich neben Anna setzte und von dem Abendessen zu erzählen begann. Sie hatte in den einheimischen Geschäften eingekauft – Mrs. Johnson unterschied zwischen den Einheimischen, das heißt den Weißen, und den Nicht-Einheimischen, also allen anderen, wie zum Beispiel den Chinesen, Senegalesen, Pakistanern, Indern, Marokkanern und so weiter. Der Freund ihres Sohnes, Omar – das Wort »Lebensgefährte« brachte sie nicht über die Lippen –, schien, so
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher