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Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Titel: Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer
Autoren: Kai Meyer
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gewarnt, auf die fixe Idee zu kommen, eines der vorbeifahrenden Schiffe durch Rauch oder andere Zeichen auf die Insel aufmerksam zu machen.
    Munk belächelte die Sorge seiner Eltern. Mochte er auch von Piraten und abenteuerlichen Kaperfahrten fantasieren, so wäre er doch nie so weit gegangen, eines der Schiffe heranzulocken. Wer war er denn schon? Nur ein Junge mit ein paar verschrobenen Talenten. Einen wie ihn würden sie nie an Bord nehmen. Er konnte nicht fechten, aber lesen; nicht schießen, dafür ein paar unnütze Zaubertricks. Falls wirklich einmal Piraten auf der Insel auftauchen sollten, war er gewiss der Erste, den sie über die Planke schickten.
    Unnütz, das war das Wort, das er so hasste. Sein Vater hatte ihn einmal so genannt, als er wütend geworden war über eines von Munks Missgeschicken auf der Farm. Und, gewiss, er hatte ja Recht. Munk würde nie ein ordentlicher Tabakfarmer werden, so viel war sicher. Dafür verlor er sich viel zu oft in seinen Tagträumen, dachte an alles Mögliche, nur nicht an die Ernte und die Aufzucht der jungen Pflanzen. Und mit den Feilschereien, die sein Vater so gut beherrschte, wenn dann und wann ein Händler zur Insel kam, hatte er erst recht nichts am Hut.
    Munk seufzte und blinzelte in die Morgensonne. Die Basis der Kanone war so morsch, dass er sich lieber nicht darauf setzte, aus Sorge, das Holz könnte auseinander brechen. Er hatte sich oft gefragt, wer sie hier aufgestellt hatte. Insgeheim war er überzeugt, dass die Insel vor dreißig, vierzig Jahren, zu Zeiten der ersten Bukaniere und der Kaperfahrten Henry Morgans, ein geheimes Piratennest gewesen war. Vielleicht hatten sie sich hier oben vor den Spaniern verschanzt, oder - besser noch -ihre Schätze irgendwo im Dickicht des Dschungels vergraben.
    Träume, dachte Munk. Nichts als dumme Träume.
    Heute Mittag hatte er geglaubt, Kanonendonner in der Ferne zu hören, und ein-, zweimal war da ein helles Blitzen am Horizont gewesen, beschattet von etwas, das eine Rauchfahne sein mochte. Jetzt aber würde bald die Sonne untergehen, und es gab keine weiteren Anzeichen für eine Seeschlacht.
    Nur eine weitere Täuschung. Eine weitere leere Hoffnung darauf, dass irgendwann einmal etwas Ungewöhnliches die Langeweile auf dieser Insel aufstören würde.
    Er wollte sich gerade aufraffen, um zurück zur Farm zu laufen, als er etwas bemerkte. Draußen, wo das Wasser tiefer und dunkler wurde, wo das sandige Grüngelb der Bucht in das Blau des Ozeans überging, dort draußen entdeckte er etwas, das da nicht hätte sein dürfen.
    Neugierig sprang Munk auf die Füße. Eine enge Kette von Riffen durchbrach dort die Oberfläche der See, ein Prellbock gegen die Brandung, um den ein immer währender Kranz von Schaum und Gischt lag wie eine Blütenkrone.
    Zwischen zwei der äußeren Felsnadeln trieb etwas im Wasser. Es war ein wenig größer als ein Mensch und dunkelbraun. Nasses Holz, natürlich. Vielleicht ein Wrackteil. Oder, bei Morgans rotem Bart, eine Truhe!
    Munk spürte, wie das Blut schneller durch seine Adern schoss. Erregung packte ihn. Er schob eine blonde Haarsträhne zurück, blinzelte prüfend zu dem Ding im Wasser hinunter und machte sich auf den Weg. Eilig stürmte er den schmalen Pfad hinab, der von der Felskuppe durch ein Bananenwäldchen zum Strand führte. Er achtete nicht auf die Äste und Blätter, die in sein Gesicht schlugen. Sand drang in seine Sandalen und schmirgelte schmerzhaft unter seinen Fußsohlen, doch nicht einmal das hielt ihn auf. in Windeseile erreichte er das Wasser, erst dort blieb er stehen. Aufmerksam schaute er sich um - nicht zum Meer hinaus, sondern landeinwärts, dorthin, wo der weiße Strand im Schatten der Palmen, Mahagonibäume und Baumfarne verschwand, eine dunkelgrüne Mauer, aus der das Geschrei der Papageien herüberwehte.
    Niemand zu sehen. Seine Eltern mussten um diese Zeit eigentlich auf der Farm sein, wahrscheinlich wartete seine Mutter schon mit dem Abendessen. Falls sein Vater ihn beobachtete bei dem, was er vorhatte, würde es einen fürchterlichen Streit geben. Sie hatten es ihm verboten, erst unter Flehen, dann unter Drohungen, und selbst als er sie zum hundertsten Mal gefragt hatte, warum sie nicht wollten, dass er es tat, da hatten sie nur geschwiegen und unheilvolle Blicke gewechselt. Wie aber konnten sie erwarten, dass er sich an ihr Verbot hielt - in einem Augenblick wie diesem, da das große Abenteuer womöglich nicht weiter als einen Steinwurf entfernt lag?
    Munk
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