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Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Titel: Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer
Autoren: Kai Meyer
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umhergeschleudert, kam aber schließlich auf die Füße.
    Silbrige Dreiecke glitten auf sie zu, umkreisten sie. Jolly hatte schon mehr als einmal mit Haien zu tun gehabt und wusste, dass sie nur die Umrisse ihrer Fußsohlen auf der Oberfläche wahrnahmen und sie nicht als lohnende Beute erkannten. Jolly zwang sich, nicht an die Männer zu denken, die aus Angst vor den Spinnen über Bord gesprungen waren. Sie hatten mit Sicherheit kein solches Glück gehabt wie sie. Hastig lief Jolly über das Wasser, mit großen Sprüngen der Maddy entgegen. Diesmal rannte sie gegen die Strömung an, ihr Atem raste, das Herz hämmerte in ihrer Brust, aber schließlich sah sie das Piratenschiff vor sich - oder vielmehr das, was von ihm übrig geblieben war.
    Hinter Jolly erhob sich die spanische Galeone vor dem dämmrigen Himmel. Von weitem sah es aus, als wäre das Holz selbst zum Leben erwacht. Die dunkle Oberfläche bewegte sich, bedeckt von wimmelndem Leben, das immer neue Schattierungen schuf.
    Rund um die Maddy sprudelte das Wasser. Jolly hatte Mühe, den weißen Kämmen auszuweichen. Meerschaum war nicht zu trauen, die Oberfläche darunter gab manchmal nach, saugte die Füße ein wie Treibsand, und dann musste man Acht geben, sie rechtzeitig wieder herauszuziehen, bevor das Wasser um sie herum erstarrte und einen festhielt.
    Sie bekam den Rand der roten Reling zu packen und zog sich daran hinauf. Sobald der Heckaufbau völlig versunken war und die Innenräume der Schebecke sich mit Wasser füllten, würde die Magere Maddy untergehen wie ein Stein. Nicht einmal einer Quappe wie Jolly würde es dann noch gelingen, rechtzeitig aus dem tödlichen Sog zu entkommen.
    Jolly musste schneller sein. Noch schneller.
    Mit einem Keuchen schwang sie sich über die Reling aufs Deck, verlor augenblicklich auf der nassen Schräge den Halt und rutschte ein paar Schritte abwärts. Sie tastete wild um sich, bekam ein Tau zu fassen, wollte sich festhalten - doch das Seil gab nach und fiel neben ihr aufs Deck. Jolly rutschte weiter, mit den Füßen voran, und jetzt kam sie dem sprudelnden, strudelnden Wasser gefährlich nahe. Im letzten Moment schlitterte sie über eine der Gitterluken zum Laderaum und verhakte sich darin mit Händen und Füßen. Bis zu dem tobenden Wasser waren es von hier aus noch zweieinhalb Mannslängen, aber das Schiff sank unaufhaltsam weiter. In weniger als einer Minute würde das Gitter unter Wasser stehen. Bis dahin musste Jolly von hier fort sein, musste die Galionsfigur erreicht haben, den einzigen Ort, der jetzt noch Rettung versprach.
    Gewiss, sie hätte einfach über die offene See fliehen können. Doch der Lauf über das schaukelnde, wogende Meer war zehnmal so kräfteraubend wie die gleiche Strecke an Land, und Jolly hatte nirgends am Horizont eine Insel entdeckt. Irgendwann würde sie mitten auf dem Meer vor Erschöpfung zusammenbrechen, würde sich hinlegen müssen - und dann bot sie den Haien von unten denselben Anblick wie jeder Schwimmer oder große Fisch. Und selbst falls die Haie keinen Appetit haben sollten, was unwahrscheinlich war, würde sie irgendwann dort draußen verdursten.
    Sie musste zur Galionsfigur. Sie war Jollys einzige Hoffnung.
    Ein kräftiges Zittern lief durch das Schiff, dann stellte es sich mit einem Stöhnen aus seinem Inneren steiler. Mit jedem Winkelgrad, den die Maddy sich aufrichtete, wurde es schwieriger, an Deck hinaufzuklettern.
    Noch etwas nahm Jolly wahr, erst nur am Rande ihres Blickfeldes, dann, als sie genauer hinsah, mit gnadenloser Gewissheit.
    Zwischen den Strudeln und Schaumfontänen am Fuß des schrägen Decks bewegte sich ein Umriss im Wasser. Eine Gestalt, annähernd menschlich, aber mit langen, dürren Gliedern, einer Haut, die ölig in allen Farben des Regenbogens schillerte, und einer Fratze, die nur aus Schlund und einem halben Dutzend rasiermesserscharfer Zahnreihen bestand. Jolly sah die Kiefer der Kreatur auf-und zuschnappen, zornige, drohende Bisse in Schaum und Wellen.
    Ein Klabauter! Ein leibhaftiger Klabauter! Es war lange her, dass Jolly einen gesehen hatte, zwei, drei Jahre, und damals war es nur ein Junges gewesen, das die Piraten mit ein paar gezielten Schüssen ins Wasser erlegt hatten.
    Dieser Klabauter aber war ausgewachsen, und er tobte dort unten in Erwartung seiner Beute, als hätte er seit Monaten nichts zwischen die Zähne bekommen. Der Lärm der Schlacht musste ihn angelockt haben. Klabauter liebten Aas, vor allem menschliches, und es gingen
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